Thomas Euler Thomas denkt, schreibt, spricht und berät zu digitaler Transformation, Technologie und dezentralisierten Systemen. Er ist als Gastautor im PR-Blogger tätig.

Digitale Mundpropaganda ist ineffektiv – oder?

3 Minuten Lesedauer

Headlines sind wichtig. Manchmal jedoch können sie geradewegs in die Irre führen. Eine Meldung der W&V titelte vor wenigen Tagen: „Studie, digitale Mundpropaganda ineffektiv“. Soso. Eine drastische Formulierung, die sicherlich einige Klicks generiert hat. Bei einem derart definitivem Aufmacher erwartet man als Leser anschließend natürlich einen fundierten Beleg.

Doch in besagter Meldung? In drei knappen Absätzen bezieht sich der Autor auf eine Studie von trnd. Der Kernparagraph lautet wie folgt:

So geben 82,5 Prozent der Befragten an, sich an persönlich überbrachte Empfehlungen zu erinnern, die digitalen Wege (Mail, Chat, Blog, Social Media) bringen es gesamt nur auf 4,6 Prozent. Sollten sie selbst Erlebnisse berichten, würde über ein Drittel dies offline tun. Rund ein Fünftel entscheidet sich für Social Networks, dahinter folgen Foren und Mails.“

Mal abgesehen davon, dass jegliche Informationen über so langweilig-überbewertete Punkte wie die Zusammensetzung der Stichprobe oder die Grundgesamtheit fehlen, bleibt die Frage: Ist die Interpretation, digitale Mundpropaganda sei inneffektiv, gerechtfertigt? Oder ist die Überschrift eine typische Folge von Journalismus, der mehr auf Klicks aus ist, als auf fundierte Betrachtungen?

Gucken wir uns die besagte trnd-Studie (die man hier als PDF herrunterladen kann) doch ein wenig genauer an. Knapp 20.000 Mitglieder der Plattform wurden befragt. In der Tat eine Menge Teilnehmer. Jedoch ist zu vermuten, dass die ausschließliche Auswahl von trnd-Mitgliedern nicht repräsentativ ist und  eine gewisse Verzerrung (Bias) in Form überproportional vertretener Präferenzausprägungen aufweist – jeder Teilnehmer ist schließlich selbst aktiver Nutzer einer Mundpropaganda-Plattform. Aber gut, methodische Schwachstellen in Studien zu identifizieren kann nun wirklich keine journalistische Aufgabe sein, oder? Knackige Überschriften lesen sich schließlich besser als ausgewogene Betrachtungen!

Gibt es noch weitere Einwände, die einen derart undifferenzierten Schnellschuss hätten verhindern können? Ja.

Mehr Verzerrung

Die Studie fragt nach der Erinnerung einer Empfehlung, präziser: der letzten erhaltenen Empfehlung. Aus der Studie:

„Im ersten Teil haben wir die Umfrageteilnehmer gebeten, sich an das letzte Mal zu erinnern, dass jemand anders ihnen etwas von einem Produkt oder einer Marke erzählt hat, bzw. sie über das Internet zur eigenen Meinung informiert hat. Zu diesem Mundpropanda-Ergebnis haben wir unterschiedliche Fragen gestellt: Über welchen Kanal hast Du die Meinung erhalten? Wie positiv kommunizierte die Person? Hast Du die Meinung wiederum an andere weitergegeben?“

Diese Methode bringt leider einen weiteren Schwachpunkt mit sich: Sie bevorzugt das Ereignis, das insgesamt mit einer höheren Wahrscheinlichkeit vorkommt. Sprich: Wenn positive oder negative Ereignisse insgesamt mehr offline verbreitet werden als online, fällt auch die Zahl der Erinnerungen automatisch zu Gunsten einer Offline-Empfehlung aus, weil sie in der Stichprobe häufiger vorkommen muss. Wenn insgesamt dreimal so viele Empfehlungen von Angesicht zu Angesicht ausgesprochen werden wie Online, ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der letzten bewusst erhaltenen Empfehlung um eine Offline-Empfehlung handelte, dreimal so hoch.

Über das genaue Verhältnis gibt die trnd-Studie leider keine Auskunft, auch wenn der eingangs zitierte Absatz aus der W&V Anderes vermuten lässt. Dort heißt es: „Sollten sie [die Befragten; Anm. des Autors] selbst Erlebnisse berichten, würde über ein Drittel dies offline tun. Rund ein Fünftel entscheidet sich für Social Networks, dahinter folgen Foren und Mails“. Falsch. Die „über ein Drittel“-Angabe bezieht sich auf die Aussage, ein bestimmtes positives oder negatives Erlebnis nicht online verbreiten zu wollen. Daraus ergibt sich keine Möglichkeit, auf das Verbreitungsverhalten offline zu schließen!

Zum Glück gibt es jedoch ähnliche Studien. Beispielsweise hat McKinsey 2009 eine Studie zu Word-of-Mouth veröffentlicht. Diese kommt zu dem Ergebnis, das 83 Prozent aller ausgesprochenen Empfehlungen face-to-face erfolgten und 17 Prozent online (s. Folie 11).  Das die trnd-Studie eine wesentlich höhere Teilungsbereitschaft online ausweist (74 Prozent insgesamt, 46 Prozent in den abgefragten Social Media Kanälen) hängt vermutlich mit der anfangs angesprochenen Verzerrung zusammen: User von trnd sind vermutlich überproportional online engagiert.

Nehmen wir nun an dass 25 Prozent aller Empfehlungen online ausgesprochen werden, der Rest offline (Ich habe bewusst höhere Werte als die McKinsey-Ergebnisse gewählt, da diese bereits älter sind und Social Sharing vermutlich wächst.) Grundsätzlich erscheint es logisch, dass face-to-face-Empfehlungen immer überproportional präsent sein werden, da sie schlicht mit weniger Aufwand verbunden sind, als online eine Empfehlung abzugeben. „Tolles Produkt“ ist schneller gesagt als geschrieben. Bei dieser angenommenen Verteilung kämen Offline Empfehlungen also drei Mal häufiger in der Stichprobe vor als ihr Online-Pendant.

Bereinigt man die Studie um diesen Effekt, um tatsächlich den Recall-Wert von Offline und Online-Empfehlungen vergleichen zu können, ergibt sich schon ein etwas anderes Bild:

Statt 4,6 Prozent Recall von online Word-of-Mouth im Vergleich zu 95,4 Prozent offline, liegen die bereinigten Werte bei 14,3 (online) bzw. 85,7 Prozent (offline).

Digitale Mundpropaganda – doch effektiv?

Natürlich sollte niemand überrascht sein, dass face-to-face-Empfehlungen eher in Erinnerung bleiben. Aber reden wir – wie die W&V-Meldung – über Effektivität. Mein Offline-Erfahrungsbericht wird zu 85,7 Prozent erinnert. Teile ich mein Erlebnis also mit 15 Personen, hinterlasse ich also bei 12,7 von Ihnen einen bleibenden Eindruck. Vergleichen wir dies – exemplarisch – mit Facebook. Dort hat der durchschnittliche User 130 Freunde (Quelle). Liegt der Recall-Wert bei 14,3 Prozent, sollten sich nun 18,6 Personen an meine Empfehlung (oder meine Tirade) erinnern.

Doch mehr: Im Gegensatz zum gesprochenen Wort ist digitale Mundpropaganda (zumindest teilweise) von Dauer. Empfehlungen in Blogs, auf Bewertungsportalen, Amazon oder Twitter werden bei Suchen gefunden. Projekte wie Googles Social Search könnten diesen Effekt künftig sogar deutlich erweitern.

Dies hat einen immensen Einfluss auf die WOM-Effektivität. Denn vom Recall-Wert allein kann sich noch niemand etwas kaufen. Spannend wird es immer dann, wenn eine Empfehlung für mich auch relevant ist, weil mich das angepriesene Produkt tatsächlich interessiert. Empfehlungen im Transaktionskontext also. Hier hat Online Word-of-mouth klar die Nase vorne, schlicht auf Grund der Tatsache, dass es bei Online-Recherchen gefunden werden kann. Interessante Ergebnisse zum Einfluss von WOM in verschiedenen Phasen des Kaufprozess finden sich übrigens ebenfalls in der oben genannten McKinsey-Studie.

Für mich lässt dies nur einen Schluss zu: Von Ineffizienz kann nicht die Rede sein, wenn von digitaler Mundpropaganda gesprochen wird.

Doch wirklich viel ändert sich für Unternehmen durch all dies ohnehin nicht. Denn Grundlage von WOM, egal ob online oder offline, sind zunächst immer Erlebnisse – positive oder negative. Damit Firmen von Empfehlungsprozessen profitieren können, müssen sie zunächst überzeugende Produkte, Services oder Erlebnisse schaffen. Nur wenn sie diese Voraussetzung erfüllen, kann Empfehlungsmarketing funktionieren. Und erst dann lohnt es sich, die Mundpropaganda mit gezielten Maßnahmen zu unterstützen – online und offline.

>> Bildnachweis: Shutterstock.com

Thomas Euler Thomas denkt, schreibt, spricht und berät zu digitaler Transformation, Technologie und dezentralisierten Systemen. Er ist als Gastautor im PR-Blogger tätig.

2 Replies to “Digitale Mundpropaganda ist ineffektiv – oder?”

  1. Sie haben aus meiner Sicht völlig Recht. Interessant wäre auch zu untersuchen in wie weit Firmen den WoM Ergebnissen ernst nehmen. Ich denke nur wenn Mann aktiv sich an den Beurteilungen, Erfahrungen und Meinungen beteiligt werden Konsumenten sich ernst genommen fühlen. Dass würde die Kundenbeziehung únd den Kommerzieller Erfolg gleichzeitig verstärken. Auf Dauer, denke ich, wird dass der einzige Weg sein. Für Firmen und Konsumenten.
    Egbert Ludwig
    http://www.moneycompass.de

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