Heinz Wittenbrink unterrichtet an der FH Joanneum in Graz Online-Journalismus und Soziale Medien und leitet dort das "Web Literacy Lab". Davor war er für Verlage und dann für eine Webagentur tätig. Er hat Bücher über Markupsprachen und Nachrichtenformate im Web verfasst. Für den PR-Blogger schreibt er über Fragen der Medienkompetenz in Unternehmen und untersucht, wie sich die Rollen von Journalisten und Kommunikatoren in der digitalen Welt verändern.

Content-Strategie 7: Eine Pflichtlektüre für Content-Strategen – „Managing Enterprise Content“

4 Minuten Lesedauer

„Managing Enterprise Content“ ist mittlerweile ein Klassiker der jungen Disziplin Content-Strategie. Das Buch, das inzwischen in der zweiten Auflage vorliegt, ist zwar etwas sperrig zu lesen, man muss sich regelrecht hindurchkämpfen. Dafür wird man mit einem detailreichen Überblick über „Content in Organisationen“ belohnt.

In einem zentralen Kapitel ihres Buchs Managing Enterprise Content: A Unified Content Strategy behandeln Ann Rockley und Charles Cooper das kollaborative Schreiben. Sie heben darin zwei Vorstellungen von Kreativität voneinander ab: Viele Autoren sähen es als kreativ an, individuelle Besonderheiten zu pflegen und verweigerten sich deshalb der gemeinsamen, systematischen Produktion von Inhalten. Die wirkliche Kreativität bestehe aber darin, Inhaltsmodelle zu entwickeln, die genau auf die Bedürfnisse der Benutzer der Inhalte bezogen sind. Rockley und Cooper fordern, dass sich Autoren als Designer von Inhalten verstehen, und zwar als Designer, die von Wissen über die Adressaten ausgehen.

Dieses Bild des Autors ist typisch für den Ansatz von Rockley und Cooper. Inhalte werden nicht für eine bestimmtes Publikationsformat entworfen, also etwa für eine Website, eine Broschüre oder eine mobile Applikation. Die Struktur der Inhalte hängt nicht von der Form ab, in der sie die Benutzer erreichen, sondern von den Bedürfnissen der Benutzer. Die Bedürfnisse der Benutzer werden in ein Modell übersetzt, das die Gliederung und die Teile des Inhalts vorgibt. Inhalt besteht aus Komponenten, aus denen beim Publizieren die jeweils passenden ausgewählt und in der geeigneten Form kombiniert werden

Managing Enterprise Content, das inzwischen in einer zweiten Auflage vorliegt, ist schon ein Klassiker der jungen Disziplin Content-Strategie. Das Buch ist spröder als die Einführungen in die Content-Strategie, die Kristina Halvorson und Erin Kissane geschrieben haben (im PR Blogger hier und hier besprochen).

Der Leser muss sich durch dieses Handbuch der Unified Content Strategie—so nennen die Autorinnen ihr Thema—hindurchkämpfen. Dafür erhält er aber einen detailreichen Überblick über alle Aspekte der Organisation von Unternehmensinhalten. Die Autoren haben die Erfahrungen aus zwei Jahrzehnten Consulting zusammengefasst. Und sie haben den Ansatz, Inhalte unabhängig von Publikationsformaten zu entwerfen und zu pflegen, konsequent zu Ende gedacht.

Es geht um Inhalte, nicht um Publikationen

Expliziter als andere Protagonisten der Contentstrategie machen Rockley und Cooper klar, warum in der Content-Strategie überhaupt von Content die Rede ist. Einerseits sind die Publikationsformen flüchtig geworden: Inhalte existieren in vielen unterschiedlichen Formen, deren Entwicklung niemand voraussehen kann. Man muss sie also als solche und unabhängig von bestimmten Publikationsformen pflegen. Andererseits können digitale Inhalte reichere und vielfältigere Strukturen haben, als die linearen Folgen der Elemente von Publikationen auf Papier.

Die Unified Content Strategy hat zwei Grundsätze. Der erste Grundsatz: Eine Content-Strategie muss einheitlich sein, also alle Inhalte einer Organisation umfassen—gleich, ob es sich um Produktbeschreibungen, Werbematerial, Gebrauchsanweisungen oder Schulungsunterlagen handelt. Content ist, schreiben Rockley und Cooper, das Blut einer Organisation. Er zirkuliert überall und man kann seine Teile nur nur willkürlich voneinander isolieren.

Aber gerade deshalb — das ist der zweite Grundsatz — muss sein Kreislauf optimal organisiert sein: so, dass die Inhalte zueinander und zur Strategie der Firma passen, und so, dass sich Inhalte möglichst leicht weiterverwenden lassen.

Wiederverwendbare Inhalte fördern Effizienz und Qualität

Ein Beispiel: Wenn eine Firma einmal gut beschrieben hat, worin der Nutzen eines Produkts besteht, kann sie diese Beschreibung in der Werbung für das Produkt ebenso wie in einem Webshop oder in den Unterlagen für den Vertrieb verwenden. Die Wiederverwendung spart nicht nur Kosten, sie sorgt für ein einheitliches Bild der Angebote der Firma. Dazu muss die Beschreibung allen Ansprüchen genügen, die an sie gestellt werden—und es ist die Aufgabe von Content-Strategen sicherzustellen, dass diese Ansprüche erhoben und formuliert werden.

Außerdem muss die Beschreibung so kleinteilig, strukturiert und mit Metadaten versehen sein, dass man unterschiedliche Versionen für unterschiedliche Ansprüche aus ihr ableiten kann. Technik und redaktionelle Workflows sind darauf abgestimmt, dass die Beschreibung nur an einer Stelle gepflegt wird. Qualitätssicherung und Management sorgen dafür, dass die Beschreibung den Zielen der Firma und und ihrer Markenpolitik entspricht.

Tatsächlich existieren Inhalte in den meisten Organisationen in den unterschiedlichsten Versionen, oft ohne dass die Beteiligten überhaupt voneinander wissen. Sie werden adhoc entwickelt, und es ist schwer bis unmöglich, einen Überblick über sie zu gewinnen. Deadlines, praktische Notwendigkeiten und die Organisationsstruktur verhindern, dass Inhalte als eigenes Kapital einer Firma erkannt und behandelt werden.

Ich weiss aus meiner eigenen Berufserfahrung, dass sich große Medienkonzerne, kleine Web- und Werbeagenturen und Hochschulen in dieser Hinsicht nur wenig voneinander unterscheiden. Solange Inhalte an bestimmte Publikationsformen gebunden waren, also als Buch, Broschüre oder auch als einmal erstellte Website existierten, fiel es extern und oft auch intern gar nicht auf, dass eine Organisation keine einheitliche Content-Strategie hatte.

Heute werden Firmen und Organisationen vor allem durch Inhalte wahrgenommen, und das auf einer sich rasch vergrößernden Vielzahl von Plattformen für die unterschiedlichsten Nutzungssituationen. Uneinheitlichkeit und mangelnde Qualität der Inhalte schaden dem Kunden wie der Organisation, die über diese Inhalte kommuniziert.

Alle Teile einer Content-Strategie sind gleich wichtig

Rockley und Cooper haben ihr Buch für Menschen geschrieben, die an dieser Situation etwas ändern müssen oder wollen: für Content-Verantwortliche und für Führungskräfte, die mit Inhalten und den hinter ihnen stehenden Workflows zu tun haben. Managing Enterprise Content ist zu einem kleinen Teil ein Plädoyer für eine Unified Content Strategy und zum größeren Teil ein Handbuch für ihre Umsetzung.

Dabei beraten Rockley und Cooper ihre Leser überall gleich gründlich — ob es darum geht, mit welchen Argumenten man einzelne Gruppen in einem Unternehmen von der Notwendigkeit einer Content-Strategie überzeugen kann, ob Schwimmbahnen-Diagramme zur Definition von Workflows diskutiert oder ob die Aufgaben von Contentstrategen in Unternehmen beschrieben werden.

Man braucht einen gewissen Leidensdruck, um dieses gründliche Buch ganz zu lesen. Aber man erkennt dann, wie eng alle Aspekte von Inhalten miteinander zusammenhängen und dass es keine untergeordneten, nur technischen Gesichtspunkte gibt, wenn wiederverwendbare, qualitätsvolle Inhalte gefragt werden.

Dass Rockley und Cooper die Beziehungen zum Beispiel zwischen dem Modellieren von Inhaltstypen für die Bedürfnisse von Benutzern, der Organisation von Workflows, der Rollenbeschreibungen für die mit Inhalten befassten MitarbeiterInnen und der technischen Formate für Inhalte und Metadaten genau herausarbeiten, ist vielleicht die wichtigste Leistung der beiden Autoren.

Das Buch ist so geschrieben, wie es die Autoren selbst für die Entwicklung von Inhalten fordern: Sorgfältig, systematisch und begründet beantworten die Autoren die Fragen, die sich stellen, wenn man Inhalt als eigenes Managementthema erkennt. Rockley und Cooper stammen aus der Welt der technischen Dokumentation. Die Ergebnisse, zu denen sie kommen, betreffen aber jede Art von Inhalten, die sich mehr als einmal nutzen lassen.

Gute Content-Strategen denken jenseits der Printformate

Inhalte unabhängig von Publikationsformaten zu entwickeln und zu pflegen, bedeutet auch, dass sie in andere Einheiten gegliedert sein müssen als zum Beispiel in Blogposts, Seiten oder Kapitel. Rockley und Cooper favorisieren die Darwin Information Typing Architecture, kurz DITA. DITA ist technisch gesehen ein XML-Vokabular. Zugrunde liegen Inhaltsmodelle, die nicht mehr an gedruckte Publikationen gebunden sind. Wichtige Kategorien sind dabei Topics und Karten (Maps) von Topics. (Hier und in vielen anderen Punkten ist die Unified Content Strategy übrigens der Tradition der Rhetorik verpflichtet, in der die Orte, die Topoi, eine zentrale Rolle spielen.)

Bei der Konzeption von Inhalten nicht mehr in den Mustern zu denken, die sich in einer Jahrtausendealten Tradition des Publizierens auf Papier eingeschliffen haben, ist vielleicht die größte Herausforderung der Unified Content Strategy.

Ganz oder gar nicht: Content-Strategien brauchen Konsequenz

Wer sich durch dieses Handbuch arbeitet, lernt nicht nur viel über die Aspekte der Content-Strategie und die Verbindungen zwischen ihnen. Er erkennt vor allem, dass es sich mit ihr ähnlich verhält wie mit dem Schwangersein: Ein bisschen Content-Strategie gibt es nicht. Sie kann nur gesamthaft umgesetzt werden: vom Content-Inventar bis hin zum Change Management.

Wer für die Inhalte einer Organisation verantwortlich ist, muss die Zusammenhänge zwischen den Komponenten der Content-Strategie verstehen, sonst wird sie scheitern. Die Inhalte werden dann weder den Zielen des Unternehmens noch den Bedürfnissen der Kunden gerecht.

Content-Strategie ist eine komplexe und anspruchsvolle Managementaufgabe. Wer sich dieser Aufgabe nicht in allen ihren Konsequenzen stellen will, sollte die Finger von ihr lassen.

Bildquelle: Shutterstock

Heinz Wittenbrink unterrichtet an der FH Joanneum in Graz Online-Journalismus und Soziale Medien und leitet dort das "Web Literacy Lab". Davor war er für Verlage und dann für eine Webagentur tätig. Er hat Bücher über Markupsprachen und Nachrichtenformate im Web verfasst. Für den PR-Blogger schreibt er über Fragen der Medienkompetenz in Unternehmen und untersucht, wie sich die Rollen von Journalisten und Kommunikatoren in der digitalen Welt verändern.

2 Replies to “Content-Strategie 7: Eine Pflichtlektüre für Content-Strategen – „Managing Enterprise…”

  1. Ehrlich gesagt empfand ich das Buch überhaupt nicht als Kampf sondern als erhellende und bestätigende Lektüre (gerade im Vergleich mit PR-Büchern). Ich habe dort zum ersten Mal eine Anleitung gefunden, wie wir seit mehreren Jahren versuchten zu arbeiten. Denn die Herausforderung haben in Wahrheit ja fast alle Unternehmen, nur geht sie kaum einer an. Wir sind mit Hilfe dieses Buchs inzwischen viele Schritte weiter. Alle anderen Bücher zu Content Strategy finde ich gut, aber dennoch überschaubar im Vergleich zu diesem Meilenstein.

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