Interessant, spannend, neu: wer durch die Streams der vornehmlich textlastigen Social-Media-Dienste Twitter, Facebook und Google+ scrollt, stößt unweigerlich auf diese Wörter – und zwar in jedem zweiten oder dritten Posting eines Unternehmensaccounts. Auch als Kommunikationsprofi schnappt man sich rasch die naheliegenden Wörter, um sorgfältig erstellte Inhalte anzukündigen. Es vergeht immerhin kaum ein Tag ohne einen neuen Artikel über Content Marketing.
Kein Wunder: schaut man sich im Internet um, wird deutlich, dass in dieser Hinsicht viel passiert und noch viel zu tun ist. Leicht übersieht man dabei, dass die kleinste Einheit von Content ein Bild ist – oder ein Wort. Nun hat nicht jeder, der sich um die Social-Media-Accounts eines Unternehmens kümmert, klassische Kommunikation gelernt und sich mit dem Gebrauch von Sprache auseinandergesetzt. Und mancher, der „vom Fach“ ist, verliert die Bedeutung von Sprache möglicherweise im Alltagsgeschäft aus den Augen. Daher schöpft man aus dem, was bequem zu erreichen ist: dem aktiven Wortschatz.
Ein Schatz, der stetig wächst: Unser Wortschatz
Je nach Bildungsstand umfasst unser aktiver Wortschatz etwa 3.000 bis 16.000 Wörter. Goethe soll angeblich mit 15.000 Wörtern hantiert haben, während Konrad Adenauer nur tausend Wörter nutzte, um sich verständlich zu machen. Unser passiver Wortschatz ist weitaus größer: 60.000 – 90.000 Wörter schlummern in uns, die wir nie oder selten benutzen. Wörter wie ‚interessant‘ oder ’spannend‘ scheinen bei uns allen im aktiven Wortschatz weit vorn zu liegen, wo man leicht drankommt. Es lohnt sich jedoch, Wörter aus dem passiven in den aktiven Wortschatz zu befördern, oder diesen gar um neue Wörter anzureichern. Denn die deutsche Sprache umfasst, je nach Zählweise, zwischen 500.000 und 20.000.000 Wörtern. Ein Schatz, den es zu heben gilt!
Und allen Unkenrufen zum Trotz wächst der Gesamtwortschatz der deutschen Sprache stetig, nicht zuletzt deshalb, weil viele neue Dinge und Zustände erfunden wurden. Wie etwa das Internet. Wörter wie Droschke, Telegramm oder Häkeldeckchen wiederum geraten in Vergessenheit.
Wörter als Widerhaken im Strom der Postings
Doch warum sollte man seinen Wortschatz pflegen? Was nach unnötiger Spielerei klingt, hat durchaus recht einfache Gründe:
- Aufmerksamkeit. Im flink dahinfließenden Strom der Echtzeitkommunikation Aufmerksamkeit zu erhaschen, ist eine Herausforderung. Ungewöhnliche Formulierungen und „schöne“ Wörter können als Köder dienen.
- Unverwechselbarkeit. Was bei Fotos oder Bewegtbild schon selbstverständlicher ist, bleibt bei Texten oftmals noch unbeachtet: wie spricht ein Unternehmen? Eigentlich ist diese Frage ein wichtiger Bestandteil in der Entwicklung des Corporate Designs. Ich habe allerdings den Eindruck, als gälte diese Frage nach der Formulierung eines Textes zur Unternehmensphilosophie als erledigt. Die Alltagskommunikation, insbesondere im Social Web, bleibt oftmals unberührt.
- Vertrauen. Neben Bildern sind Texte das, was Menschen im Internet miteinander verbindet. Wieviel mit wenigen Wörtern ausgedrückt werden kann, lässt sich tagtäglich bei Twitter lesen. Wer für Unternehmen kommuniziert, weiß, wie wichtig Vertrauen für Empfehlungen und Kaufentscheidungen sein kann.
Kein Wort wie das andere: Synonyme
Zur Pflege des Wortschatzes hilft es schon, die eigenen Texte auf häufig genutzte Wörter zu prüfen. Gibt es Begriffe, die immer wieder auftauchen? Werden diese Begriffe von der Konkurrenz ebenso häufig genutzt? Gibt es gute Gründe dafür? Lassen sich vielleicht andere Begriffe verwenden, die zutreffender sind oder weniger abgenutzt? Gute Quellen für Synonyme sind etwa Woxikon, Duden, Wortschatz Uni Leipzig, Wiktionary oder openthesaurus.org. Auch ein Blick in das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm kann inspirierend sein. Und keine Angst vor Wörtern, die möglicherweise etwas altertümlich wirken. Geschickt verwendet, können sie einem Text viel Charme verleihen. Die Königsdisziplin ist das Erfinden eigener Wörter, die von den Lesern gern übernommen werden und für das Besondere des Unternehmens stehen.
„Interessant“ im Woxikon
Da liegt der Hase im Pfeffer: Redewendungen und Sprichwörter
Vertrauen kann auch durch die Verwendung von vertrauten Redewendungen und Sprichwörtern wachsen. „Wer Sprichwörter kennt, kann kein schlechter Mensch sein“, heißt es in einer Szene des französischen Spielfims „Die fabelhafte Welt der Amélie“, in dem ein Liebhaber durch das Beenden von Sprichwörtern auf Herz und Nieren geprüft wurde.
Ein leichtfüßiger, spielerischer Umgang mit Sprache macht nicht nur Lesern Vergnügen, sondern kann auch wesentlich zur Selbstmotivation beitragen. Listen mit deutschen Sprichwörtern und Redewendungen findet man zum Beispiel bei Wikipedia. Und wer sein Hirn zwischendurch lockern möchte, kann dies trefflich beim sprichwortrekombinator.de tun, wo Sprichwörter munter remixt werden.
Yolo, dann legen wir gediegen los!
Bevor Sie sich nun auf Wortschatzsuche begeben, sind ein paar grundlegende Überlegungen sinnvoll:
- Eine gute Kenntnis der Zielgruppe ist unerlässlich. Wenngleich diese im Content-Marketing ohnehin selbstverständlich sein sollte, braucht es ein gutes Gespür dafür, was möglich, nötig und erwünscht ist.
- Obacht bei der Verwendung von Jugendsprache, die rasch anbiedernd wirkt.
- Mehr Fremdwörter zu benutzen ist keine Lösung, es sei denn, Sie wollen sich stärker abgrenzen und ihre Zielgruppe weiß diese Abgrenzung zu schätzen.
- Bleiben Ihre Texte verständlich? Möglicherweise ist es sinnvoll, wichtige Mitteilungen zusätzlich in leichter Sprache anzubieten. Insbesondere dann, wenn Sie sehr viele Menschen erreichen möchten.
- Social Media ist nur ein Teil Ihrer Kommunikation und sollte daher immer im Zusammenhang mit ihrer Kommunikationsstrategie betrachtet werden. Da kann auch ein prüfender Blick auf zum Beispiel Newsletter und Website-Texte nicht schaden.
Bildquelle: Wibke Ladwig; Shutterstock
Danke Wibke Ladwig für Ihren Hinweis auf ein nicht unwesentliches „Detail“ des Content-Marketing, aber auch der Unternehmens- und Marketingkommunikation insgesamt. Und hier wiederrum nicht nur das Schreiben, sondern auch das Sprechen. (Wer erinnert sich nicht an die quälende Inhaltsleere eines Sales Webinbars?) Die Herausforderung: Sprache ist Kultur. Das gilt auch für Unternehmen. Es gilt, die Unternehmenskultur in Richtung Nutzen- und Zielgruppenbezogener Sprache zu verändern.
Herzlichen Dank. Ich halte Sprache auch für unterschätzt, wenn man über Unternehmenskultur spricht. Insbesondere die Sprache in Social Media entspricht doch eher der gesprochenen Sprache als der Schriftsprache. Insofern hilft es, manche Texte vorm Absenden auch einfach mal laut zu lesen.
Als PR-Journalist und Blogger begrüße ich jeden Beitrag, der nicht nur den hohen Stellenwert von guter Sprache/guten Texten in der Unternehmenskommunikation betont, sondern darüber hinaus aus praktische Tipps gibt. Den Sprichwortrekombinatior kannte ich jedenfalls noch nicht. Werde ich gleich mal ausprobieren und dann wohl als Lesezeichen speichern. Mehr davon!
Danke sehr, das freut mich. Und der Sprichwortrekombinator ist in der Tat eine meiner liebsten Spielwiesen im Internet. Unwiderstehlich!
Werte Frau Ladwig, vielen Dank für das anregende Plädoyer für einen stärkeren Fokus auf unsere/ die für den Kunden verwendete Sprache. In dem Zusammenhang hätten Sie doch gerne auf Ihr, sich zwar noch Im Beta-Status befindende, aber dennoch bemerkenswerte Projekt http://www.wortweide.de hinweisen können.
Was mir in dem Blogbeitrag etwas gefehlt hat, ist das Stichwort der _Authentizität_. Denn gerade Social Web-Texten aber auch in anderen Medien veröffentlichten Texten merkt man es meiner Meinung nach an, wenn krampfhaft versucht wird es einer Gruppe von Adressaten recht zu machen. Das klingt in Ihrer Warnung von Jugendsprache zwar schon an, kann aber noch auf weitere Milieus erweitert werden. Lieber einen unverwechselbaren Sprachstil entwickeln, mit dem sich der Großteil der Mitarbeiter auch identifizieren kann & diesen dann auch konsequent beibehalten.
Lieber Herr Tacke, danke sehr, auch für ihre freundlichen Worte zur Wortweide. Tatsächlich habe ich bewusst das Stichwort Authentizität umsteuert. Sie haben vollkommen recht mit dem Wunsch nach einem unverwechselbaren Sprachstil. Darauf wollte ich im Grunde auch hinaus.
„Authentizität“ wird meinem Eindruck nach häufig missverstanden oder gar missbräuchlich verwendet. Dieses Wort erleidet dasselbe Schicksal wie viele Buzzwords: alle sprechen darüber, aber kaum jemand füllt es mit Leben. Vielleicht braucht es da nochmal eine gesonderte Betrachtung. Denn ich sehe das ganz wie Sie.
Danke für den Zuspruch. Allerdings fordere ich Sie auf, keine Scheu davor Buzzwords zu verwenden – aber richtig! 😉 Denn natürlich können wir uns den Diskussionen um solche Begriffe entziehen… aber dann bestimmt der Konsens ohne uns die entsprechenden Bedeutungen, dann doch lieber mitdiskutieren & etwas prägen.
Eine gelungene Kampagne über die Macht der Worte, die mir gerade noch einfällt: https://www.youtube.com/watch?v=Hzgzim5m7oU Viel Spaß beim Schauen.
Ein schöner und wichtiger Appell für die Kraft der Sprache. Die Links zu Sprichwörtern und Redewendungen sind ein schöner Fundus und ein Füllhorn der Inspiration. Der Sprichwortkombinator ist ein erquickliches Spielzeug, dass mehr Spaß macht, je mehr Sprichwörter man wiedererkennt. Danke für diesen Artikel. Er spornt an.
Formidabel!
Grüezi Frau Ladwig
Es ist schon eine Heimsuchung, wie unsere flamboyante Sprache verarmt.
«Droschke» und «Häkeldeckchen» muss man vielleicht nicht unbedingt kennen, aber es wäre schon einen «Asbach Uralt» wert, wenn unsere Alltagssprache wieder etwas farbiger und plastischer würde.
Insofern teile ich die betonte Trennung von Alltags- und Schriftsprache nicht ganz. Blogs spiegeln nun mal die Kommunikations-Gepflogenheiten ihrer Zeit ganz besonders. Und der wichtigste Treibsatz unserer Tage ist nun mal «Geschwindigkeit» (siehe «Speed-Dating»). Vortrefflicher scheint es mir daher zu sein, vor allem unsere Alltagssprache zu verfeinern.
Aber auch unter diesem Aspekt ist Ihr Beitrag eine prächtige Fürsprache: Lasst uns alle und immer mit unserem Wortschatz (bis zu 90.000 Wörter – wow!) achtsamer umgehen.
Schliesslich muss man nicht jede Mail mit «Hallo» beginnen. Und es muss auch nicht immer alles nur «super» sein. Selbst wer sich nicht zu den Wort-Akrobaten zählt, kann sich bemühen, ein paar Schattierungen mehr zu finden und so seine eigene Sprache abwechslungsreicher zu machen (Aber die lesen solche Blogs und Posts vermutlich so wie so nicht…).
Aufgestellte Grüsse vom Süd(st)rand des Bodensees
Dieter-Michael Last
Ein wunderbarer Spaziergang durch Ihren Wortreichtum, deren Inhalt mich gleichsam fesselt und erleuchtet. Allen Kommentatoren kann ich mich anschließen und mag daher ungern mit Wiederholungen von Lob langweilen. Eines jedoch, liebe Frau Ladwig, liegt mir am Herzen, hier, bei der Betrachtung von Schreibweisen und vor allem für Inhalte, die den Leser erreichen sollen. Sicher ist es wichtig, sich im Sprachgebrauch zu üben und ganz sicher hilft Eloquenz sehr. Wir reden hier ja nicht von Romanen oder Fantasiegeschichten, die zahlreiche Leser finden sollen, sondern von Inhalten, die Botschaften, die Image transportieren sollen. Für mich gilt – und bitte korrigieren Sie mich, wenn ich irre – so einfach und so pointiert wie möglich zu be-schreiben. Nehmen wir das neue Wort YOLO. You only live once steht für Risiko und Experimentierfreudigkeit. Wir nehmen englische Begrifflichkeiten im deutschen Umfeld und neigen dazu, es in eine Kultur transportieren zu wollen, die alles andere als risikofreudig ist. Für mich ist die Erkenntnis, die sich dank Ihres Artikels für mich wieder bestätigt: Schuster bleib bei deinen Leisten und schreibe nicht über Dinge, die in deinem Leben keinen wirklichen Anker haben. Authenzität ist das Maß der Dinge; nur wenn ich mich mit den Werten und Inhalten identifizieren kann, kann ich auch darüber schreiben. Danke für eine wunderbare Ergänzung, die Liebe und Hingabe in Ihrem Artikel, der mir persönlich beim Lesen wirklich Freude bereitet hat. Herzlichst Angelika Güven