Von Matt, Potemkin und der unendlichen Leere IV

2 Minuten Lesedauer

Die ehrliche Reaktion von Jean Rémy von Matt, die ein freundlicher Mensch an die Öffentlichkeit gebracht hat, läst vermuten, dass die Nerven blank lagen. Machen ihm doch ein paar kritische Journalisten und Blogger, für die diese Kampagne ja gar nicht gedacht ist, sein teures Spielzeug madig, auf das er und so viele Entscheider in der Medienwelt stolz sind. Alles Menschen, die wissen, wie man die da unten perfekt motiviert.

Teure Werbelyrik, verkündet mit Halb-, Möchtegern- und einigen Vollpromis, nicht zu vergessen die Alibiputzfrau, soll aus uns Deutschen Aufbrecher machen. Und wer nicht mitmacht … oder gar die Stimmung versaut … ja, da haben sie wie so oft Werbeperlen vor die Säue geworfen. Der Intellekt bei vielen Schlaumeiern bremst doch glatt den Emotionsschaum der Kampagne, löst ihn auf und stößt auf nichts als Leere. Haben die emotionslosen No-Eggs nicht erkannt, dass dies eine Mitmach- und Mitdenk-Kampagne ist, die Leere Absicht? Dass der Slogan "Du bist Deutschland" eigentlich eine Motivationskeule ist. Hat man sich erst damit auseinander gesetzt, schlägt der Slogan direkt ins Großhirn ein – und löst … was? Naja, da sind halt viele geteilter Meinung.

Na ja, vielleicht ist es auch ganz anders gelaufen. Angestochen und trunken von kreativen Ideen, von der Botschaft Deutschland samt der Deutschen radikal zu verändern, hat man seine Hausaufgaben nicht gemacht und geprüft, wie die Weihrauch-geschwängerte DbD-Idee unten ankommt? Die Entschuldigung von Jean Rémy von Matt zeigt zwar, dass er zu kommunikativen Formen in der Öffentlichkeit zurück gefunden hat – aber steckt dahinter auch ein Gesinnungswandel. Ist sie Entschuldigung authentisch, echt, ehrlich?

Denn genau dies ist das Problem mit der DbD-Kampagne, die mich an eine russische PR-Aktion erinnert, die einst Herr Potemkin für Kathatrina die Große entwickelt hat. Hinter dem Glanz schöner Dörfer, die er der Kaiserin präsentierte, war nichts. Alles war nur Kulisse, Hohl, Camuflage. Potemkinsche Dörfer.

Die DbD-Kampagne wirkt auf mich ähnlich. Vielleicht geht sie als Potemkinsche Werbung in die Geschichte ein. Ihr fehlt das authentische, einen Mangel, den man bei Käse- oder Waschmittelwerbung hinnimmt. Die DbD-Werbung ist weder unterhaltsam noch intelligent, eher möchtegern und bedeutungsschwanger, ohne zu gebähren.

Nach langem Anlauf nun meine eigentliche Vermutung, warum Jean Rémy von Matt so sauer auf Blogs reagiert hat: Blogs sind in hohem Maß authentisch, weil dahinter Menschen stehen und dafür stehen, was sie sagen. Und diese DbD-Werbung? Wie authentisch ist die? Mal ehrlich.

Schade um das Thema. Warum nicht mit Kameras und Recorder raus zur
frustrierten Basis, zu den Bremsern, zu den Menschen, die den Wandel
der Gesellschaft nicht packen, aber die wir dazu brauchen? Verlasst
Eure Kreise, nehmt auf, was die Menschen stört, verstört und zerstört,
was sie betroffen macht. Zeigt es. Werft es ihnen wegen mir vor, reißt
sie aus ihrer Lethargie, wagt es bei solchen Themen radikal zu sein,
stellt Euch auch selbst. Setzt eine ernsthafte Diskussion in Gang. Ohne
Floskeln, Light-Philosphie oder Readers Digest-Lyrik. Vergesst Werbung,
entdeckt die Wirklichkeit.

Was bleibt von DBD? Mehr als ein läppisches Geplänkel über eine
geschmäcklerische Kampagne und einen eingeschnappten Werber?
Interessanterweise wird dies bei vielen mehr wahr genommen als die
Kampagne. Warum? Weil das authentisch und echt ist. Werbung darf das in
Öko Zeiten übrigens auch sein, auch ohne Bio-Zertifizierung.

Ansonsten besteht weiterhin die Gefahr, dass die Leere hinter dem
Weihrauchnebel besonders bedeutungsschwanger daherkommenden Kampagnen
durch Blogs gefüllt wird.
Und darüber sollten Werber und Werbetreibende froh sein – sie kriegen
direkte Reaktionen statt blutleerer Mafo. Und noch was. Sie werden
ernst genommen.

>> PR Blogger: Jean-Remy von Matt & Krisenkommunikation III
>> PR Blogger: Jean-Remy von Matts virale Antwort auf die Bloggerkritik II
>> PR Blogger: Jean-Remy von Matts Bloggerbeschimpfung I

Roland Keller

9 Replies to “Von Matt, Potemkin und der unendlichen Leere IV”

  1. Ich finde der Artikel bringt es gut auf den Punkt, aber er ist nur polemisch, destruktiv. Vielleicht sollten wir Blogger mal eine Gegeninitiative starten und zeigen, wie man echt, authentisch motiviert? Ein „Ich bin Deutschland“ Meme?

  2. Ich bin der Ansicht, auch bei Jean-Rémy vom Matts E-Mails (der ersten „internen“, wie auch der zweiten „Entschuldigung“) handelt es sich um Hohlkörper. So wie er sich in seiner DbD-Kampagne selbst beweihräuchert, so geht es ihm in seinen Mails darum, wieder Land zu gewinnen. Die ganze zur Schau gestellte Pseudo-Emotionalität ist doch nur aalglatte Pose. Dumm wenn das Publikum bei DbD das merkt. Erst recht dumm, wenn die geschmähte Bloggerwelt das merkt. S. http://camelopard.blogspot.com/2006/01/die-scheihausparolen-des-herrn-jean.html

  3. Die DbD-Kampagne macht das falsch, was Werber immer falsch machen: Sie ist nicht authentisch. Sie blendet die Realität der Mehrheit in diesem Land aus, die eben nicht mal eben Einstein oder Ackermann spielen können, sondern sich mit vier Kindern zum Hartz-IV-Bezug anstellen müssen.
    Wenn die Reklametypen ein bisschen Interaktivität mit ihrer Zielgruppe betreiben würden (was über das Vögeln der Praktikantin aus der ‚Generation Praktikum‘ hausgeht), würden Sie gemerkt haben, was so richtig schiefläuft mit dieser Kampagne.
    „Du bist Lieschen Müller. Du bist Deutschland.“

  4. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Kampagne wie DbD nicht nur aus einer, sondern aus unendlich vielen Perspektiven betrachtet werden kann.
    Die Perspektive des Gerhirnforschers und Neurobiologen Prof. Gerald Hüther habe ich beispielsweise in folgendem Interview erfragt:
    http://www.psychophysik.com/html/re042-huether.html
    Was mich immer wieder fasziniert ist das Phänomen, dass selbst intelligente Menschen (oder solche, welche sich für intelligent halten), ihre eigene Sichtweise mit größtem Pathos als die allein gültige Sichtweise anpreisen.
    Meiner Meinung nach kommt es der Realität nahe, wenn alle positiven, negativen oder sonstigen Stimmen zur DdD-Kampagne durchaus treffende Facetten aus einer ganz bestimmen Perspektive beschreiben (aus anderen Perspektiven werden wieder andere Aspekte sichtbar), darüber hinaus jedoch in erster Linie die Seelen- und Gefühlslage der Schreiberlinge wiedergeben.
    Wer nun glaubt, es gehöre zu den Fähigkeiten eines Journalisten, unterschiedliche Perspektiven einnehmen zu können, der wird – zumindest was viele DdD-Blog-Kommentare angeht, eines anderen belehrt. Differenzierungsfähigkeit und eigener Geltungsanspruch scheinen sich hier umgekehrt proportional zueinander zu verhalten.
    Loriot lässt grüßen…
    Claus Fritzsche

  5. Das schöne und gute an Blogs ist nunmal, dass sie nicht politisch korrekt sind, sondern im Idealfall die Haltung des Bloggers zeigen. Etwas, was in vielen Bereichen unserer Gesellschaft verlorenen gegangen ist. Persönlichkeit hat nunmal etwas mit Haltung zu tun. Haltung muss ja nicht immer ideologisch verblendet sein, sondern kann/sollte auch mit Toleranz gepaart sein. Ich gehe auch immer davon aus, dass eine Meinungsäußerung eine solche ist – und nicht die Wahrheit gepachtet haben will. Selbst wenn sie von Journalisten kommt, die lediglich dadurch priviligiert sind, dass sie ihre Meinung leichter verbreiten können.
    Was micht an dem Beitrag von Claus Fritsche stört ist, dass er mit dem Wort Schreiberlinge zeigt, welche Achtung er vor der Meinung anderer hat, aber keine eigene Meinung zur DbD-Kampagne äußert bzw. fundiert auf die Kritik anderer antwortet. Zusätzlich führt er ein Interview mit Professor Hüther an, das seine These untermauern soll, die schon Jesus laut der Bibel griffiger formuliert haben soll: Viele erkennen den Splitter im Auge des anderen, aber nicht den Balken in ihrem eigenen.
    Einige Hundert Jahre nach dem Zeitalter der Aufklärung hätte ich mir in dieser Diskussion eher ein Zitat von Voltaire gewünscht. Alles dafür zu tun, dass JvM seine Meinung in Wort, Bild, Werbung kund tun kann – allerdings wünsche ich mir das auch von JvM, statt seiner Haltung: Wir Meinungsmacher wissen wo es lang geht – und ihr Info-Konsumenten bewegt euch im Neandertal der Kommunikation, seid lediglich in der Lage Höhlen- und Klowände virtuell zu beschreiben.
    Was zeigt die Haltung von JvM noch: da ist einer stehen geblieben. Der begeisterte Radiohörer Brecht war in den 20er Jahren mit seiner Radiotheorie schon weiter. Er träumte von One-to-One, von Podcasting – nur hieß das damals anders.

  6. Hallo Herr Keller,
    steht für Sie die Darstellung einer authentischen eigenen Haltung – verbunden mit Toleranz gegenüber anderen Sichtweisen – im Vordergrund, so folge ich Ihren Ausführungen gerne.
    Die große Herausforderung ist wahrscheinlich (und da nehme ich mich selbst nicht aus), den Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen (XY ist so und so!) und persönlichen Meinungen und Empfindungen (Ich empfinde XY so und so.) sprachlich immer wieder klar und deutlich herauszuarbeiten. Die zweite Variante gibt mir jedes Recht, meine Haltung darzustellen, ohne dass sie deshalb eine anders denkende Person herabsetzen muss. Meine absichtlich pointierte Wortwahl ist dadurch zu erklären, dass mir diese Differenzierung in Ihrem Beitrag zu kurz kam. Und verschiedene Ihrer Formulierungen haben für mich persönlich (bei aller Freude an einem konstruktiven Disput und einer fruchtbaren Kontroverse) einen herabwürdigenden Klang. Ich betone: Für mich. Subjektiv.
    Ich kann mich selbstverständlich täuschen, nach meiner Beobachtung fällt die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und persönlichen Wertungen vielen Blog-Schreibern (und Nicht-Blog-Schreibern) alles andere als leicht, erfordert sie doch ein hohes Maß an geistiger Disziplin.
    Ihre Aussage zur Herabwürdigung von anders denkenden Menschen durch das Wort „Schreiberlinge“ respektiere ich dann genau in diesem Sinne, wenn Sie statt einer Tatsachenbehauptung (… das er mit dem Wort Schreiberling zeigt…!) betonen, dass Sie persönlich dies so empfinden. Womit wir wieder beim ursprünglichen Thema wären.
    Claus Fritzsche
    (Schreiberling)

  7. Lieber Herr Fritsche,
    was wollen Sie mit Ihrer Antwort sagen – und was sagen Sie damit über sich? Viele haben nicht das hohe Maß an geistiger Disziplin, um zwischen Tatsachenbehauptungen und persönlicher Wertung zu unterscheiden. Sie sind anders. Wobei ich mit dem Wort „Tatsachenbehauptung“ vorsichtig wäre. Entwender es ist tatsächlich so oder es wird behauptet, dass es so ist. Also bitte entscheiden zwischen den Widersprüchen „Tatsache“ und „Behauptung“. Ansonsten wird die Schiedsrichterhaltung, die ich ganz subjektiv aus Ihrem Beitrag herauszulesen wage, schwierig.
    Aber lassen wir doch die Nebenschauplätze, streiten wir uns nicht, ob das Wort Schreiberling so freundlich wie Liebling gemeint ist. Sagen Sie doch einfach, was sie von der DbD-Kampagne halten, statt sich wenig greifbar über die Kritiker und deren Argumentationsqualität auszulassen. Gerne würde ich Argumente hören, die mir die Wirkung dieser Kampagne erschließen könnten. Ich habe begriffen, was deren Ziel ist.
    Doch mit der Umsetzung habe ich große Probleme. Vielleicht liegt das an dem Grad der Probleme, die überwunden werden müssen: tief verwurzelte Ängste, Denk- und Verhaltensweisen und radikale Veränderungen auf der anderen Seite. Abschied vom sozialen Wohlstandsstaat mit Netz und doppeltem Boden – und zugleich Abbau von Arbeitsplätzen. Mit allen wirtschaftlichen und psychologischen Folgen. Für die Betroffenen – und das sind nicht nur die Arbeitslosen – ist DbD weder Trost noch Botschaft. Es taugt nichtmal als Hilfe zur Selbsthilfe. Da muss mehr passieren, nachdem man in D die letzten 25 Jahre wenig dazu getan hat, damit wir in einer sich verändernden Welt auch mental ankommen. Vielleicht kriegen deshalb die Werber von DbD so viel ab. Vielleicht deshalb mein Eindruck der potemkinschen Werbedörfer. Was ist dahinter? Wo finden die Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe? Nichts gegen eine neue Aufbruchstimmung, doch DbD hat angesichts der komplexen und gewaltingen Probleme, um die es geht, nur die Wirkung des Tropfens auf einen heißen Stein. Ich denke, um die gewünschte Wirkung in breiten Kreisen der Bevölkerung zu erreichen, bedarf es mehr.

  8. Lieber Herr Keller,
    auch wenn mich zunächst die Form der Diskussion mehr interessiert hat, als das Thema DbD selbst, beantworte ich Ihre Frage gerne:
    Ich nehme die DbD-Kampagne mit gemischten Gefühlen wahr und mag sie nicht in eine Schublade mit Stempel „positiv“ oder „negativ“ einordnen.
    Was den „didaktischen“ Ansatz angeht, so glaube ich, dass Persönlichkeitsmerkmale wie z.B. Optimismus, Zuversicht, lösungsorientiertes Denken, Selbstbewusstsein etc. auf der Ebene jedes einzelnen Menschen von INNEN nach AUSSEN entwickelt werden und sich nicht durch eine Werbekampagne überstülpen lassen. Dennoch glaube ich auch an „gruppendynamische Effekte“, welche mit einem winzigen Impuls beginnen und sich Schritt für Schritt positiv hochschaukeln können. Und hier denke ich nicht in tagespolitischen Zeithorizonten (bis zur nächsten Landtagswahl) sondern von mir aus in Schritten von 4 bis 10 Jahren, vielleicht auch länger. Mit diesem Ansatz erlöse ich einen einzelnen Menschen nicht von seinen möglichen belastenden Prägungen. Trotzdem kann ich in Summe gewaltige positive Potentiale erschließen … ohne dabei wiederum eine ganze Nation mental und emotional vergewaltigen zu wollen.
    Damit mittel- und langfristig eine positive Dynamik entsteht, müssen allerdings verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein, deren Auflistung an dieser Stelle zu weit führen würde. Die DbD-Kampagne kann hier nur ein winziger aber (weil erster) bedeutender Mosaikstein sein, wobei die Auseinandersetzung ÜBER die Kampagne wahrscheinlich wichtiger als der reine Kommunikations-Effekt einzelner Anzeigen und Werbespots ist. (Daher nehme ich den Austausch in diesem Blog und anderswo bei allen Spitzen durchaus als positiv wahr.)
    Die Frage ist nun, welchen Anspruch ich an eine Kampagne wie DdD stelle. Ist mein Erwartungshorizont zu groß, so kann ich nur enttäuscht werden. Bin ich jedoch bereit, den großen Wert eines ersten Schrittes, eines Anfangsimpulses anzuerkennen, so kann dies schon sehr sehr viel sein. Wenn alle stimmungsaufhellenden Effekte der DbD-Kampagne nach 12 Monaten komplett verpufft sind (wenn es sie denn je gab), nicht jedoch die Diskussion und Sensibilisierung für das Thema selbst (und dieser Eindruck verdichtet sich bei mir zunehmend), dann hat sich die ganze Aktion aus meiner Sicht bereits tausendfach gelohnt.
    Ich habe übrigens nicht den Anspruch, dass Politiker, Manager, meine Mitmenschen oder eben Werber PERFEKT zu sein haben und dass Ziele (welcher Art auch immer) generalstabsmäßig umgesetzt und in 3 maximal 6 Monaten erreicht werden müssen. Ich wünsche mir keine Welt mit perfekten Menschen, mit perfekten Werbekampagnen und perfekten Werbern.
    So betrachtet genießen die Initiatoren, Geldgeber, Macher und sonstigen Unterstützer der DdD-Kampagne meine volle Wertschätzung und Hochachtung. Allein der Versuch, die Initiative, das Engagement, die Spendenbereitschaft bewerte ich sehr positiv. Und dass die Kampagne in einer pluralistischen Demokratie auf viele Reaktionen trifft, somit auch auf konstruktiv und destruktiv kritische Stimmen, das liegt in der Natur der Sache und gehört zum Menschsein dazu.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert