Wie man durch Content den Vertrieb gezielt unterstützen kann, wird in vielen Unternehmen nur unzureichend bedacht. Die Menschen wollen sich nichts mehr wie früher von Kundenjägern und Produkterklärern aufdrängen lassen, sie informieren sich vielmehr im Vorfeld selbst. Hier entfaltet passgenau ausgelieferter hochwertiger Content als „Nurture“ seine ganz gewaltige Kraft.
Im alten Leadmanagement werden Leads auf welche Weise auch immer vom Marketing beschafft und ohne weitere Qualifizierung sozusagen „kalt“ an das Vertriebsteam übergeben. Aussagen wie diese sind dann gar nicht so selten: „Eure Leads sind Mist, mit denen kann man nichts anfangen.“ Was folgt, sind müßige Diskussionen über die Qualität der jeweiligen Arbeit.
Das Marketing ist sauer, weil die neuen Leads mit viel Aufwand generiert wurden und das vom Vertrieb „mal wieder“ nicht gewürdigt wird. Sogleich wird vermutet, dass der Vertrieb sich gar nicht „richtig“ um die Leads kümmert und wohl am liebsten fertige Abschlüsse auf dem Silbertablett serviert bekommt.
So fliegen Vorurteile und Unterstellungen hin und her. Anstatt sich mit voller Kraft um die Kunden zu kümmern, verpufft viel Zeit mit internem Gedöns.
Wir brauchen neue Zugänge zum Kunden
Wer ein unqualifiziertes Lead direkt an den Vertrieb weitergibt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Vertriebserfolg ausbleibt. Aber nicht nur, dass die Ergebnisse zu wünschen übrig lassen, dieses Vorgehen hinterlässt weitere Spuren: Der Vertrieb ist frustriert und verweigert womöglich komplett die Bearbeitung zukünftiger Leads.
Der Eindruck, der bei Interessenten durch die (viel) zu frühe Kontaktaufnahme entsteht, ist noch weniger positiv. Im schlimmsten Fall fühlt man sich an Provisionsjäger und die AUA-Zeit des Hardselling-Verkaufs zurückerinnert: anhauen, umhauen, abhauen. Doch wer sich bedrängt, manipuliert oder über den Tisch gezogen fühlt, zieht sich zurück.
Zudem fallen, wie in meinem letzten Beitrag bereits ausgeführt, bis zu 95 Prozent aller Kaufvorentscheidungen heute im Web. Idealerweise bereitet passender Content, der mithilfe automatisierter Prozesse ausgespielt wird, den Kunden auf einen Kaufabschluss vor. In diesem Fall spricht man von „Nurturing“. Zum bestmöglichen Zeitpunkt übernimmt dann der Vertrieb, um ein telefonisches oder persönliches Verkaufsgespräch einzuleiten.
Nurturing: der Erfolgsfaktor im neuen Leadmanagement
Jemand, der sich bereits konkret mit einer Sache befasst hat und nun detaillierte Informationen oder gar schon ein erstes Angebot will, wird für eine verkäuferische Kontaktaufnahme viel empfänglicher sein als jemand, der gerade erst mit der Themenrecherche beginnt. Der erste Interessent ist „reif“ für den Vertrieb, der zweite hingegen noch nicht.
Dementsprechend entwickeln Lead-Nurturing-Prozesse den Interessenten vom Erstkontakt bis zur Vertriebsreife. „Nurturn“ heißt so viel wie nähren oder anreichern. Man versorgt also einen Interessenten an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt mit relevanten, aufeinander aufbauenden Informationen, um ihn auf diese Weise Schritt für Schritt an die Kaufentscheidung heranzuführen.
Die Vorqualifizierung eines Leads und der geeignete Übergabezeitpunkt sind demnach erfolgskritische Kernpunkte im neuen Leadmanagement. Dies ist vor allem dann überaus wichtig, wenn es um eine komplexe und/oder kostenintensive Entscheidung geht. Sowohl im hochwertigen Endkundenvertrieb als auch im B2B ist dies meistens der Fall.
Die Content-Zuordnung entlang der Buyer Journey
Im B2B sind die Entscheidungswege eher lang und werden gründlich geplant. Zudem sind oft mehrere Entscheider involviert. Den Entscheidungsprozess, den neue Kunden bis zu ihrem ersten Kauf durchlaufen, nennen wir in diesem Fall Buyer-Journey (BJ). Die wesentlichen Phasen einer Buyer-Journey sind je nach Branche, Einkaufsprozedere und Kaufgut verschieden.
In Form eines Flussdiagramms lässt sich das grundsätzlich so darstellen, wie die Abbildung zeigt. Darunter können Sie zwecks erster Übersicht – aus dem Blickwinkel des Kunden betrachtet – die typischen Touchpoints listen, die zu der jeweiligen Phase gehören. Hierfür wird dann zwecks Nurturing geeigneter Content produziert. Dieser muss sowohl zum jeweiligen Interessenten als auch zur jeweiligen Phase im Entscheidungsprozess passen.
Wer sich dabei – sowohl inhaltlich als auch typmäßig – auf die Bedürfnisse seiner jeweiligen Ansprechpartner einstellen kann, hat schnell eine Menge Vorsprung vor der Konkurrenz. So nutzt man auch im B2B Buyer-Personas. Oft gibt man ihnen Namen, die typische Teilnehmer in Entscheidungsgremien, den Buying Centern, repräsentieren: zum Beispiel Ingo IT, Peter Produktion, Monika Marketing oder Sabine Service.
Buyer Journey im B2B – (c)Anne M. Schüller
Welche Nurturing-Formate in Frage kommen
Passende Content-Stücke lassen sich zum Beispiel hier einsetzen:
- Welcome-Nurture 1: Mit diesem Nurture begrüßen und empfangen Sie neue Interessenten, die dann durch einen mehrstufigen, aufeinander aufbauenden Ablauf bis zur Vertriebsreife geführt werden.
- Themen-Nurtures: Sie führen den Interessenten in die Themenwelt des Unternehmens ein. Dazu bieten Sie am Anfang allgemeine Informationen, die im Verlauf der Kampagne immer spezifischer werden und sich in unterschiedliche Bereiche verzweigen können.
- Produkt-Nurtures: Interessiert sich jemand für ein spezifisches Produkt, eine Serviceleistung oder eine Lösung aus Ihrer Angebotspalette, kommt eine Produkt-Nurturing-Strecke zum Einsatz. Auch hier gibt es am Anfang allgemeine Informationen, die im Verlauf immer spezifischer werden. Achtung! Ego-Postings vermeiden.
- Event- oder Messe-Nurtures: Hauptaufgabe solcher Nurtures ist die Nachbearbeitung der Kontakte. Man kann passende Nurtures aber auch weiter vorne einsetzen, etwa, um Besucher über pfiffige Aktionen einzuladen. So lassen sich Offline-Aktivitäten gut unterstützen.
- Wake-up-Nurtures: Mit diesem Nurture reaktivieren Sie Interessenten, die während einer Nurturing-Kampagne ausgestiegen sind, also irgendwann nicht mehr reagiert haben.
- Sales-Nurtures: Das sind Nurtures, die einen länger andauernden Verkaufsprozess unterstützen, weil zum Beispiel langwierige kundeninterne Abstimmungsmaßnahmen notwendig sind. Das lässt sich durch passendes Content-Material unterstützen. Solche Nurtures dürfen allerdings nur vom jeweils zuständigen Vertriebsmitarbeiter ausgelöst werden.
- Warm-up-Nurtures: Mit diesem Nurture erwecken Sie Interessenten, die im Verhandlungsverlauf eine Entscheidung zurückgestellt haben oder die aus anderen Gründen während des Entscheidungsprozesses verloren wurden, wieder zum Leben. Sie sollten niederfrequentig versandt werden und dem Interessenten freundliche kleine Anstupser geben, das besprochene Thema erneut anzupacken.
Wie es nach dem Nurturn weitergeht und viel mehr zum Thema steht in „Marketing-Automation für Bestandskunden“.
Bildquellen: Shutterstock, Anne M. Schüller