Thomas Euler Thomas denkt, schreibt, spricht und berät zu digitaler Transformation, Technologie und dezentralisierten Systemen. Er ist als Gastautor im PR-Blogger tätig.

Fake-Likes: Facebook schadet sich und seinen Werbekunden

6 Minuten Lesedauer

Facebook Werbung hat ein ärgerliches Problem: Fake Likes. Das ist nicht neu. So berichtete etwa im Februar 2014 der Business Insider über das Thema. Eine simple Suche mit einem Term á la “Facebook Advertising Fake Likes” fördert Millionen Ergebnisse zu Tage. Umso erschreckender ist es, dass Facebook das Thema immer noch nicht im Griff zu haben scheint. Dabei ist es eines, das zu lösen für Facebook viel wert sein könnte. Dazu später mehr.

Facebook_Like_shutterstock_247888927_groß

Ich will vorwegschicken, dass mein Beitrag hier auf eigenen Erfahrungswerten basiert, nicht auf einer repräsentativen Datengrundlage. Ergo erhebe ich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Gleichwohl finden sich im Netz zahlreiche Berichte anderer Betroffener. Das Problem ist also keine Phantasie.

Akuter Auslöser meines Beitrags ist persönliche Betroffenheit. Vergangene Woche veröffentlichte ich einen Artikel bei Medium “Beware of Artificial Stupidity — The Risk Of Misapplying Today’s AI”. Tags darauf postete ich ihn als Beitrag auf der Facebook-Seite unseres noch recht neuen Magazins Digital Hills. (Allesamt natürlich Empfehlungen ;))

Facebook

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Der Fall

Um ihn ein wenig “anzuschieben”, promotete ich ihn daraufhin. Weil es sich um ein recht spitzes Thema handelt, wählte ich entsprechende Targeting-Kriterien: Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich für:

  • Artificial Intelligence
  • Machine Learning
  • Artificial Neural Network

interessieren. Sowie jene, die mindestens eines der folgenden Technologie-Medien liken:

  • Ars Technica
  • Wired
  • Re/code
  • The Verge
  • t3n

 

targeting criteria

Dafür war ich bereit, im ersten Schritt 18€ in die Hand zu nehmen.
Etwas über 8€ und einige Stunden später, entschloss ich mich, die Werbung zu beenden. Denn die Accounts, die mit dem Post interagierten, sahen so aus:

Fake Likers edited

Fast keiner dieser Accounts — ich habe sie händisch geprüft — hatte irgendwas mit den gewählten Targeting-Kriterien gemein. Aufgrund der großen Menge an Likes, die sie alle vergeben hatten, ist Facebook wohl zum Schluss kommen, sie könnten sich für AI & Co. interessieren. Sonderlich präzise und valide funktionierte der Targeting-Algorithmus dann jedoch nicht.

Schlimmer noch: Ich hatte angegeben, nur Personen erreichen zu wollen, die im D-A-CH-Gebiet leben. Einige der Profile stammten jedoch aus Ländern wie Ägypten. Damit wiederholte sich eine Erfahrung, die ich schon zu Anfang des Jahres gemacht hatte, als ich die Seite eines privaten Projekts bewarb.

Also beendete ich die Anzeige, verbannte alle Spam-Accounts von der Seite und ging auf Fehlersuche.

Click-Farmen und Fehler

Warum “interessierten” sich plötzlich so viele obskure Profile für unseren Post? Dahinter stecken Click-Farmen, häufig aus Ländern wie Indien, Ägypten und anderen Entwicklungsländern. Diese unterhalten zig Profile, mit denen sie Likes gegen Geld verkaufen. Damit die Profile unter Facebooks Radar für Fake-Profile laufen, liken sie willkürlich diverse Seiten und Beiträge. Wie in unserem Fall zum Schaden der Werbetreibenden.

Das Thema taucht auch in der Facebook Business Community immer wieder auf, exemplarisch etwa hier. Mehr zum Thema Click-Farmen können Sie Cult of Mac, Business Insider und Quora lesen.

Zugegeben, beim Buchen der Anzeige hatte ich ein paar vermeidbare Fehler begangen. Beispielsweise hatte ich diese erste Iteration direkt über den Promote-Button auf der Seite statt über den Anzeigenmanager erstellt. Dinge, von denen man nach einer schnellen Recherche erfährt, dass sie das Problem der Fake-Likes erhöhen, siehe z.B. iProspect oder Adsventure.

Versuch Nummer zwei

Also ließ ich es auf einen zweiten Versuch ankommen. Diesmal erstellte ich einen Promoted Post über den Anzeigenmanager und berücksichtigte ein paar andere Tipps. Zum Beispiel nutzte ich die diversen Technologiemedien nicht länger als zusätzliches Targeting-Kriterium, sondern als Ausschlusskriterium.

In Facebook liest sich dies so:

People Who Match: Interests: Ars Technica, Wired (website), t3n Magazin, Re/code or The Verge

And Must Also Match: Interests: Artificial intelligence, Big data, Machine learning, Predictive analytics or Deep learning, Field of study: Machine Learning or Artificial Intelligence

Die Ergebnisse würde ich als gemischt bezeichnen. In der Tat kamen ein paar legitime User hinzu. Gleichzeitig reduzierte sich die Zahl der Gefällt-mir-Angaben von Accounts, die nicht im DACH-Gebiet leben. Zumindest größtenteils; jenes Profil aus dem Libanon etwa reagierte trotzdem noch auf Grundlage der neuen Anzeige:

fake liker from wrong location edited

Neu hinzu kamen dafür nun andere Profile, die zwar aus DACH kamen, jedoch immer noch recht wenig mit der tatsächlich anvisierten Zielgruppe gemein hatten:

fakeprofil edited
de but not audience liker

Da viele der entsprechenden Accounts — bei denen es sich scheinbar um reale Personen handelt — recht freizügig mit den Freigabeeinstellungen umgehen, habe ich mir ihre Interessen mal genauer angesehen. Fazit: Es handelt sich um Accounts, die hunderte oder gar tausende Seiten liken. Einen erkennbaren thematischen Zusammenhang gibt es nicht. Nun stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum.

Die Fan-Kauf-Ökonomie

Meine Vermutung: Es handelt sich um Nutzer von Angeboten wie Fanslave, Fan-Like oder Facebooktausch24. Bei diesen Services kann man sich als Nutzer registrieren, um Facebook-Seiten (oder andere Social Media Accounts) zu liken und erhält dafür je ein paar Cent. Solche Services sind gemeint, wenn die Rede davon ist, dass sich Unternehmen Fans kaufen. Sie sind quasi die minimal seriösere Variante von Click-Farmen.

Die User, die bei solchen Services aktiv sind, passen nach einiger Zeit in quasi jedes Targeting-Profil (Wobei ich mich schon wundere, wie Facebook im Fall unserer sehr spezifischen Kriterien ein Interesse an AI, Machine Learning oder Big Data extrapoliert. Ja, die von mir untersuchten Profile haben natürlich unter ihren tausenden Likes auch Tech-Seiten. Doch wenn das alleine genügt, legt der Algorithmus hier recht großzügige Kriterien an!).

So also kommt unsere Anzeige initial zu ihnen. Weil es — gleiches Argument wie bei den Click-Farmen — den Fakeverdacht aushebelt, klicken sie eben auf diverse Anzeigen und Promoted Posts. Stimmt meine These, dann sind es auf Umwegen jene Seitenbetreiber, die Fans außerhalb von Facebook kaufen, die das Geld der regulär Werbetreibenden kosten. Das ist ärgerlich; und wie ich meine: vermeidbar.

Der größere Kontext

Natürlich ist Facebook das Problem bekannt und man arbeitet nach eigenem Bekunden daran. Gleichwohl liegt ein Interessenkonflikt vor. Langfristig ist es natürlich kontraproduktiv, wenn die in der Theorie so wunderbar präzisen Werbeformate de facto im hohen Maße Schrottkontakte vermitteln. Gleichzeitig sind es jedoch Klicks. Und diese sind für Facebook bares Geld wert. Kurzfristig also vielleicht nicht das größte Übel.

Außer Facebook selbst kann niemand beantworten, welche Priorität das Thema genießt. Man könnte jedoch verstehen, gäbe es Stimmen im Unternehmen, die weniger für dessen vollkommene Abschaffung, als vielmehr für das optimale Gleichgewicht plädierten: Hielte man das Niveau schlicht unter der Schwelle, die zu viele Werbekunden dazu bringt, nicht länger Geld bei Facebook zu lassen, hätte man gewissermaßen den Sweet Spot gefunden. Damit will ich mitnichten unterstellen, dass dies die Policy wäre, sondern schlicht das Spannungsfeld beschreiben.

Wie dem auch sei, die Awareness für das Problem wäre vermutlich deutlich größer, würden jene werbetreibenden Unternehmen, die signifikante Budgets investieren, selbst ihre Kampagnen managen. In der Praxis sind dafür jedoch zumeist Agenturen verantwortlich. Diese wiederum müssen sich an den Ergebnissen ihrer Arbeit messen lassen. Da sind hohe Fan- & Interaktionsraten natürlich hilfreich. Zumindest solange, wie Kunden danach fragen und anhand dieser Kriterien messen.

Deshalb stammen die meisten zu findenden Beschwerden auch von Betreibern kleinerer Seiten, also aus KMUs. Diese verfügen jedoch, zumindest individuell, nicht über nennenswerte Etats. Ihre Stimmen gehen also schneller unter, als die der individuellen Großkunden.

Facebook nutzt dem Longtail am meisten

Gleichzeitig stellen KMU einen extrem interessanten Markt für Facebook dar, der noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Laut aktuellen Zahlen betreiben 50 Millionen KMUs eine Facebook-Seite, doch nur 3 Millionen Unternehmen sind Werbekunden. Allein dies spräche schon dafür, dass Facebook gut daran täte, diesen Kunden die bestmögliche Customer Experience zu bieten.

Doch gibt es noch eine weitere relevante Frage: Für welchen Kunden sollte Facebooks Werbeprodukt den meisten Nutzen stiften? Kürzlich verfasste der von mir hochgeschätzte Ben Thompson eine kluge Analyse des TV-Werbemarktes. Erstmals nach einigen Quartalen war es den US-Sendern vor Beginn der neuen Fernsehsaison gelungen, mehr ihres Inventars zu höheren Preisen zu verkaufen. Thompson verglich daraufhin die Struktur des TV-Werbemarktes mit digitaler Werbung. Er schreibt:

The most obvious reason for TV’s enduring appeal to advertisers is that it is a pretty fantastic advertising medium: relaxed viewers, immersive experience, etc. The appeal, though, goes deeper: the very institution of television advertising is intertwined with the kinds of advertisers that use it the most, the products they sell, and the way they are bought-and-sold. And what should be terrifying to television executives is that all of those pieces that make television advertising the gold mine that it has been are under the exact same threat that TV watching itself is: the threat of the Internet.

I also suspect the nature of the biggest TV advertisers explains TV’s dead cat bounce: brands uniquely suited to TV are probably by definition less suited to digital advertising, which at least to date has worked much better for direct response marketing. No one is going to click a link in their feed to buy a car or laundry detergent, and a brick-and-mortar retailer doesn’t want to encourage shopping to someone already online. So after a bit of experimentation, they’re back with TV.“

Zusammengefasst kann man also sagen: Wer Zahnpasta (oder andere CPGs) verkauft, braucht kaum die Targeting-Möglichkeiten, die Facebook bietet. Anders jedoch sieht es bei Anbietern aus dem Longtail aus. Lokale Geschäfte, Anbieter mit speziellen Nischenprodukten und -services etc. Für sie ist Facebook in der Theorie der ideale Werbekanal. In der Praxis hakt es jedoch.

Das Fake-Problem sollte gelöst werden

Da Longtail-Werbekunden Facebook lieben sollten, sind alle Argumente bedeutungslos, die das Fake-Like-Problem auf der Grundlage für nichtig erklären, dass man es ja mit entsprechender Kompetenz durchaus einschränken könne. Die Betreiber entsprechender Seiten haben i.d.R. nicht die Zeit, sich mit den Tiefen der Facebook-Werbung zu beschäftigen.

Bei Adsventure etwa schreibt Florian Litterst:

Auf keinen Fall solltest du, wie ich bei meinem Experiment, die Funktion “Seite hervorheben” direkt auf deiner Facebook-Page nutzen.”

Das ist faktisch richtig. Allerdings handelt es sich dabei um ein großes Versäumnis seitens Facebook. Wenn ich eine Funktion zur Verfügung stelle, dann sollte sie funktionieren. Besonders weil es für viele Seitenbetreiber mit Sicherheit die erste Option ist, wenn sie neu mit Facebook-Anzeigen beginnen. Sind hier negative Erfahrungen vorprogrammiert, schneidet sich Facebook ins eigene Fleisch.

Es gibt sicher keinen perfekten Fix für das Problem. Aber Verbesserung ist zweifelsohne möglich. Ein Anfang könnte etwa sein, Werbetreibenden die Option zu geben, Profile ab einer gewissen Anzahl vergebener Likes auszuschließen. Bin ich CPG-Anbieter, stören mich derlei Fans vermutlich weniger; sie sind ja durchaus potentielle Zahnpastakäufer. Als Longtail-Anbieter hätte ich aber die Option, meine Relevanz zu erhöhen.

Ich denke, Facebook täte gut daran, dem Thema (noch) mehr Bedeutung beizumessen. Es könnte bares Geld wert sein.

Bildquelle: rvlsoft/Shutterstock.com

Thomas Euler Thomas denkt, schreibt, spricht und berät zu digitaler Transformation, Technologie und dezentralisierten Systemen. Er ist als Gastautor im PR-Blogger tätig.

3 Replies to “Fake-Likes: Facebook schadet sich und seinen Werbekunden”

  1. Eine Sache die auf jeden Fall hilft: Wenn man eine deutschsprachige Seite bewirbt, Deutsch als Targeting-Sprache zu wählen. Damit habe ich bei einigen Kunden und Seiten gute Ergebnisse erzielt!

  2. Leider die selbe Erfharung gemacht. Zielgruppe rund um München und woher kommen die meisten Likes: aus arabischen und anderen Ländern … Da kann man nur fragen, ob Facebook die Werbetreibenden betrügt, wenn dagegen nichts unternommen wird, aber die Fakes in der Statistik als Erfolg auftauchen.

  3. Hey Thomas,

    das Problem mit den Fake Likes ist echt extrem leidig und ich höre auch noch immer, dass es nach wie vor auftritt.

    Eine erprobte Formel, um dieses Problem extrem zu Minimieren oder Auszuschließen lautet: Als Standort „Personen, die in diesem Ort leben“ + als Sprache „Deutsch“ + Ausschluss von Expats aus deinen Zielgruppen + Targeting von spezifischen Interessen oder Custom bzw. Lookalike Audiences.

    Viele Grüße, Florian

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