Je mehr Daten ich in Marketing und Vertrieb sammle, desto besser entwickeln sich meine Kundenbeziehungen. Oder ist das nur ein großer Mythos? Bei Social CRM sollte es um gänzlich andere Fragen gehen.
Die Angst vor einem Kontrollverlust beim Einsatz von Social Media ist groß in den Unternehmen. Dabei ist das eigentlich ein einzigartiger Irrtum. Es handelt sich um eine reine Kontrollillusion, die in PR und Marketing verbreitet ist: Kunden sind in der Regel sehr gut informiert über Unternehmen und ihre Angebote. Dafür benötigen sie nicht einmal deren Website, Whitepaper und weitere Kundeninformationen. Lieber trauen sie anderen Kunden, die auf die Reputation der Marke einzahlen, indem sie deren Leistung bewerten.
Wir leben in einer Transparenzgesellschaft, die alle Daten schnell verfügbar macht. Allerdings gilt dieses auch anders herum. Nicht nur Kunden werfen einen Blick in Suchmaschinen und berücksichtigen bei einer Kaufentscheidung die Social Signals auf Twitter und Facebook. Dank Social CRM können Unternehmen sich besser über die Bedürfnisse ihrer Kunden informieren und zumindest in der Theorie in Echtzeit einen Blick auf die Wünsche ihrer Kunden werfen. Technisch wären viele Organisationen durchaus dazu in der Lage. Ein großes Aber gibt es jedoch, auf das ich im Laufe dieses Blogartikels eingehen werde.
Ein klassisches CRM-System und ein Blick auf die bisherige Kaufhistorie reicht nicht mehr aus, um erfolgreich Kundenbeziehungen zu managen. Dabei werden viele Kundeninformationen nicht genutzt, die inzwischen zur Verfügung stehen. In der heutigen Zeit sind unsere Kunden immer häufiger während der gesamten Customer Journey auch online erreichbar. Wer darüber viele Informationen auswerten kann, erfährt eine Menge über die unterschiedlichen Bedürfnisse der Käufer und kann darauf jeweils adäquat mit Content und Kommunikation reagieren. Statt abzuwarten, können Verkäufer ihre Kunden direkt proaktiv ansprechen und eine direkte Interaktion in Social Media eingehen. Allerdings sollte dieses die Kunden nicht nerven und bedarf deren Permission.
Bei dem sogenannten Social CRM ist alles auf den Kunden ausgerichtet. Dabei geht es vor allem darum, nicht Daten um ihrer selbst Willen zu sammeln, sondern diesen einem konkreten Nutzen zuzuführen. Es wäre wenig sinnvoll, einen Kunden im Sinne des Direktmarketings mit zahlreichen Pushinformationen zu überfordern, wenn es bessere Alternativen gibt.
Zielgerichtetes Content-Marketing
Je mehr ich über meine Kunden erfahre, desto geringer werden die Streuverluste bei der Informationsverteilung. Die Marktforscher von IDC haben in einer Studie herausgefunden, dass 80 Prozent der besonders wettbewerbsorientierten Unternehmen Informationen strategisch für ihr Business nutzen. Über Social Media erhalten Unternehmen genügend Input, um ihre Content-Strategie auszudifferenzieren. Idealerweise kann ein Verkäufer die Kunden zur richtigen Zeit mit dem Verständnis über ihre Standpunkt in der Customer Journey einordnen und aus dieser gewonnenen Perspektive heraus ansprechen oder mit relevanten Inhalten versorgen. Das klingt abstrakt, aber in Praxis heißt es, aktiv zuhören und direkt mit einer gewissen Empathie interagieren, sobald sich im Kundenkontakt die Gelegenheit ergibt. Manchmal geht es ganz banal darum, auf Kundenfragen einzugehen und konkrete Antworten zu liefern. Wer das bei der Allianz-Versicherung besonders gut in Social Media macht, wird dort als Facebook-König gepriesen.
Big Data und Social CRM sind in aller Munde. Doch das Versprechen dieser gehypten Begriffe klingt verführerisch; denn es suggeriert, dass der Vertrieb mit Hilfe von mehr gesammelten Informationen bessere und belastbare Entscheidungen treffen kann. Statt sich nur auf die eigene Intuition bei einem Kundengespräch zu verlassen, kann man viel gezielter auf die Kundenbedürfnisse eingehen, wenn man die Interessen seiner Stakeholder in Echtzeit vor Augen hat. In Social Media geben Kunden viele Information aus ihrem Alltag preis, die sich nutzen lassen. Auf deren Grundlage können Unternehmen herausfinden, wie wir leben, arbeiten und wo unsere persönlichen Präferenzen liegen.
Kunden geben bereitwillig ihre Facebook-Daten ab
In Deutschland profitieren Unternehmen inzwischen davon, dass fast zwei Drittel aller Onliner sich manchmal (51 Prozent) oder immer (13 Prozent) via Facebook bei einem Online-Shop oder Kundenbindungsprogramm anmeldet. Auf diese Weise erfahren sie mehr über ihre Kunden. Darüber hinaus sind davon 77 Prozent bereit, ihre persönlichen Facebook-Daten an Unternehmen weiterzugeben und letztlich sogar mit deren Mitarbeitern in Kontakt zu treten. Das ergab ein Social Media Check von defacto research & consulting mit dem Schwerpunkt-Thema „Social CRM“. Insgesamt haben die Marktforscher im März 1.019 Personen befragt.
Die große Bereitschaft, Produktempfehlungen auszusprechen und mit Unternehmen in Kontakt zu treten, machen deutlich, welche großartigen Potentiale Social Media für das Social Selling hat. Allerdings sollte meiner Meinung nach niemand daraus schließen, jederzeit Kunden aufgrund ihres persönlichen Nutzungsverhaltens Angebote machen zu dürfen. Bei Social CRM benötige ich die Erlaubnis der Konsumenten, wenn diese mir nicht vorliegt, dann gehe ich im Falle einer falschen Ansprache ein großes Reputationsrisiko ein.
Bisher sind nur wenige Firmen in der Lage, schnell und adäquat auf Anfragen via Facebook, Twitter oder Google+ zu reagieren. Es fehlen dazu die abteilungsübergreifenden digitale Prozesse über alle Touchpoints hinweg. Wenn eine Frage auf Facebook gestellt wird und es einen ersten Kundendialog mit dem Unternehmen gegeben hat, sollte diese Information in einem Social CRM festgehalten und dann bei einer telefonischen Nachfassen desselben Kunden bekannt sein. Der Call Center Agent oder Vertriebsmitarbeiter muss einen schnellen Zugriff auf die komplette Kundenhistorie haben, um adäquat reagieren zu können.
Als Kunde erlebe ich oftmals noch das Gegenteil. Trotz einer großartigen Verknüpfung vielen Dateninseln tun sich komplexe Organisationen wie die Deutsche Bahn noch immer schwer, über alle Kanäle hinweg intern Informationen auszutauschen. Das führt dazu, dass ich als Kunde bei einer Bahncard-100-Frage an unterschiedlichen Touchpoints (Telefon, Facebook, E-Mail etc.) dieselben Informationen erneut abgeben muss, obwohl ich genau das Gegenteil von einem Dienstleister erwarte. Schließlich sollte er wissen, was mich bewegt. Ansonsten enttäuscht er mich.
Trotz all dieser alltäglichen Enttäuschung bin ich ein ganz großer Fan (und langjähriger vielfahrender Kunde) der Deutschen Bahn und hege großen Respekt vor deren Leistung in der Social Media Kommunikation und pflichte Kai Thrun bei: Trotz aller Kritik ist es ein Best Practice in der Kundenkommunikation 2.0. Das lässt sich sogar an meinem eigenen Facebook-Posting-Beispiel nachvollziehen.
Datensilos behindern das Social CRM
Solange die Social Media Kommunikation nicht auf eine breitere Basis im Unternehmen selbst gesetzt ist, sind allenfalls einzelne Abteilungen in der Lage auf Kundenkritik oder -dialoge zu antworten. Eine systematische Auswertung der Kundendaten auf einer Social CRM-Plattform in Echtzeit ist hingegen meistens noch Zukunftsmusik. Dabei gibt es schon heute Tools wie Contactually oder Nimble, mit denen selbst KMU’s Social CRM kostengünstig ausprobieren und nutzen können. Ohne dezidierte Social Media Strategie und glaubwürdige Social Media Akteure im Unternehmen werden damit nur wenige etwas anfangen können.
In der Regel beginnen in den Unternehmen Marketing und PR mit den Social Media Aktivitäten. Erst später kommt dann bei großen Konzernen auch der Kundenservice und Vertrieb hinzu (siehe bspw. Telekom hilft). Eine fehlende Abstimmung zwischen den Abteilungen kann schnell zu unzufriedenen Reaktionen auf Kundenseiten und zu kleinen Krisen führen. Wer erst nach 24 Stunden oder einigen Tagen reagiert, hat das Prinzip der Echtzeitkommunikation nicht verstanden und wird mit den möglichen Reputationsschäden leben müssen. Oftmals wollen Kunden ihre konkreten Probleme sofort gelöst bekommen. Was nützt es mir noch, vom Hotelmanagement auf meine Kritik am fehlenden WLAN erst nach meiner Abreise eine Antwort zu erhalten. Kein Wunder, dass eine Facebook-Beschwerde am Wochenende bei Markenunternehmen ein besonders Eigenleben entfaltet, wenn kein Mitarbeiter in der Lage ist, darauf rechtzeitig zu reagieren.
Es empfiehlt sich, bei der Kundeninteraktionen auf ein zentrales Dashboard zu setzen, über das sich alle Social Signals beziehen und nutzen lassen. Darüber sollten die Informationen sich managen, monitoren lassen, bevor ein Verkäufer in den Kundenkontakt geht. Im Idealfall lassen sich daraus sogar Prognosemodelle für das künftige Kundenverhalten ableiten. Doch bislang tun sich viele schon in der Social Media Gegenwart schwer.
Wer Interesse am Social CRM-Thema hat, ist von mir herzlichst eingeladen, sich für den 30. April 2014 zu einem Espresso-Webinar der SAP mit mir anzumelden. Es findet am Mittwoch um 9:30 Uhr statt. Das Webinar richtet sich an Entscheider aus Management, Vertrieb und Marketing. Alternativ bin ich in Berlin ab dem 7. Mai auf der Re:publica ansprechbar und in München am 23. Mai 2014 auf dem Isarcamp bei meinem Vortrag „Kundenansprache 2.0 – Möglichkeiten der digitalen Transformation“ dabei.
>> Webinar am 30. April 2014 zu Social CRM: Erfolgreiche Strategien und KPIs aus der Praxis
>> Internet Magazin: Frank Puscher: Der entzauberte Mythos Social CRM
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Die Frage ist, wie lange sind Kunden noch bereit ihre Daten so einfach herzugeben? Wenn dabei nur ein personalisierter Shop oder eine Webseite herausspringt, dann ist dies das Minimum. Was bekommen Nutzer für ihre Daten ist in meinen Augen genauso wichtig wie, was machen Unternehmen mit den Daten.
Solange wir öffentlich miteinander kommunizieren und auf Twitter, Facebook und anderen Touchpoints über Marken sprechen, mache ich mir um die Verfügbarkeit der Daten keine Sorgen. Das werden eher immer mehr statt weniger.
Hallo Klaus, danke für die Übersicht. Es ist erstaunlich, dass Unternehmen heute mit dem Alleinstellungsmerkmal werben, einen umfassenden Support anzubieten. Eine nachhaltige Kundenbetreuung geht weit über das Abarbeiten von Kundenanfragen hinaus. Eigentlich kann man sich das mit einer einfachen Formal klar machen, die wir uns im Software-Geschäft immer vor Augen halten: Kundenzufriedenheit = Leistung – Kundenerwartung. Wenn man also nur immer genau das leistet, was der Kunde erwartet, dann kommt man laut dieser Formel auf 0 Zufriedenheit kommt. Das bedeutet natürlich nicht, dass es falsch ist, die Kundenerwartungen zu erfüllen. Die Erfahrung zeigt aber, dass es in der Praxis nicht reicht, sich allein darauf zu fokussieren, seine Kunden zu verwalten. Im Key Account Management sind die Erwartungen an die Mitarbeiter nicht umsonst, proaktiv nah am Kunden zu bleiben. Dabei ist nicht allein das Upselling aus Sales-Sicht relevant, sondern es geht darum, immer einen Schritt voraus zu sein: Ein vorausschauendes CRM, dass die reinen Erwartungen des Kunden übertrifft sorgt für eine positive Reputation (gute Betreuung spricht sich herum) und liefert intern wertvollen Input für Produktmanagement, Marketing und Business Development – vorausgesetzt, dass alle Abteilungen miteinander sprechen entsteht daraus ein sehr erfolgreicher Motor innerhalb des Unternehmens.
Nachtrag: Ich habe am Anfang ein Wort vergessen: Es ist natürlich NICHT erstaunlich, dass Unternehmen mit umfassenden Support als Alleinstellungsmerkmal werben. Eben wegen der zahlreichen wertvollen Vorteile fürs Unternehmen.
Schnelle, kanalübergreifende Reaktion auf Kundenanfragen, Beschwerden und Technical Support bedingen auch, dass jemand da ist, der diese Anliegen beantwortet. Oft einfach nicht gegeben in Zeiten von Kontaktvermeidungsstrategien und self-services, sich der Kunde also selber durch endlose Blogs und FAQs arbeiten darf, wie bei Amazon, Facebook, ebay oder Telekommunikationsanbietern. Hat der Kunde endlich eine Kontaktadresse, gibt es bei den „Großen“ meist schnell eine Antwort – nicht immer richtig und vollständig, aber immerhin eine Reaktion. „Kleine“ Unternehmen haben aber einfach nicht die Möglichkeit, 24/7 alle Kanäle zu betreuen.