Wieder einmal hat sich gezeigt, wie wenig onlineaffin unsere politische Klasse noch immer ist. Bis auf wenige Ausnahmen wurde dieser Wahlkampf im Internet nur halbherzig geführt. Die Union hat die Bundestagswahl 2013 eindeutig für sich entschieden. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die Person Angela Merkel und der fehlende Wille der Wählerschaft zum Wechsel. Auf das Internet kam es dabei wenig an. Dort spiegelt sich die Beliebtheit der Kanzler in hohen Fanzahlen auf Facebook. Der digitale Aufstieg des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück schlug sich am Ende nicht in den Ergebnissen am Wahltag nieder.
Viele Bundestagsabgeordnete waren in Social Media auf Twitter und anderen Plattformen aktiv. Doch wirklich begeistern konnten sie mit ihren oft eher banalen Inhalten nur wenige. Sie erzählten aus ihrem Alltag und reflektieren ihre klassische Politik. Hin und wieder gibt es politische Dialoge, doch die werden nur von wenigen intensiv geführt.
So, gewählt ist. Das Wetter ist in Berlin herbstlich strahlend, das ist gut für einen Wechsel. #Allesaufgrün
— Renate Künast (@RenateKuenast) September 22, 2013
Kanzlerin #Merkel bei der Stimmabgabe (Foto) (BPA). pic.twitter.com/WlxZRMjhM9 — Steffen Seibert (@RegSprecher) September 22, 2013
Auch nach Abgabe des Stimmzettels: Der Kandidat kämpft weiter um jede Stimme. #72hspd #gehwählen pic.twitter.com/s06s6dnU65 — Peer Steinbrück (@peersteinbrueck) September 22, 2013
Liebe Wählerinnen u Wähler aus den Kreisen Merzig-Wadern u Saarlouis: Ihr wisst schon !!! Danke dafür und für viel Ermutigung im Wahlkampf! — Peter Altmaier (@peteraltmaier) September 22, 2013
Wer hätte 1990 gedacht, dass diese Partei drittstärkste politische Kraft in der Bundesrepublik wird? — Gregor Gysi (@GregorGysi) September 22, 2013
Die gesammelten Twitter-Beispiele sind natürlich nur Stichproben, die nicht wirklich repräsentativ sind. Es gibt durchaus einige Beispiele, die deutlich machen, wie Politiker mit wenigen Worten nach der Wahl auf 140 Zeichen auf Veränderungen hinweisen können und damit wirklich Nachrichtenwert produzieren:
Dank für Wiederwahl in Wiesbaden! Möchte aus familiären Gründen dem neuen Kabinett nicht wieder angehören. Statement: http://t.co/Z4Le28V6fo — Kristina Schröder (@schroeder_k) September 22, 2013
Tschüß #Piraten ! Das war es für mich. Ich ziehe mich zurück. Vielen Dank für 4 1/2 tolle Jahre im #BuVo .
— Bernd Schlömer (@BuBernd) September 24, 2013
Bewerbe mich um den Parteivorsitz, um liberale Partei zu erneuern und 2017 wieder in Bundestag zu führen. Nun Phase der Besinnung. CL — Christian Lindner (@c_lindner) September 23, 2013
Ich werde für Fraktionsspitze nicht wieder antreten. Über Sondierungsgespräche entscheidet nicht CSU. Die werden Katrin und ich mit führen. — Jürgen Trittin (@JTrittin) September 24, 2013
Kein Social Media Wahlkampf, aber ein Anfang
Von diesen Inhalten hätte ich mir persönlich mehr erwünscht. Es ist ein zarter digitaler Anfang. Oft lassen Politiker ihren Social Media Kanal wieder verwaisen, sobald die Wahl vorbei ist oder schon kurz vor dem Endspurt wie bei den Parteivorsitzenden der SPD und FDP geschehen:
Steinbrück will Steuerbetrug bekämpfen.Um das zu verhindern wird selbst vor Erpressungsversuch nicht zurückgeschreckt http://t.co/YRKdKsvHL0
— Sigmar Gabriel (@sigmargabriel) September 14, 2013
#MarcelReich-Ranicki war eine der herausragendsten Persönlichkeiten des deutschen Kulturlebens. Sein Tod ist ein großer Verlust. #fdp #bmwi
— Philipp Rösler (@philipproesler) September 18, 2013
Ich hatte mich bereits vor einigen Monaten skeptisch in Bezug auf einen Social Media Wahlkampf in 2013 geäußert. Trotz eines gewissen Aktivismus fehlte es meiner Ansicht nach an einer wirklichen strategischen Ausrichtung der digitalen Parteiaktivitäten. Dafür war Social Media anscheinend noch nicht wichtig genug. Viele Themen wirkten arg belanglos (#Schlandkette, #Koalitionskette, #Stinkefinger) und eher beliebig. Rund 350.000 Tweets gab es am Tag der Bundestagswahl. Selbst wenn die Reichweite darüber hinaus in die 2 Millionen gehen sollte, ist das wenig im Vergleich zur TV- und sonstigen Reichweite über klassische Medien. Außerdem war der Informationsgewinn der im Fernsehen zitierten Twitterbeiträge eher gering und dürfte wenig gereizt haben, Twitter für sich zu entdecken. Immerhin nutzen beinahe alle TV-Sender Twitter in ihren Sendeformaten und setzten den Hashtag in ihrer Berichterstattung ein. Auf diese Weise konnte sie ihren TV-Reichweite ein wenig mit Service-Inhalten unterstützen und mir als gleichzeitigen TV-Zuschauer bei der Wahl des jeweiligen Senders helfen.
Vorl. amtl. Endergebnis #BTW13: Union 41,5%, SPD 25,7%, FDP 4,8%, Linke 8,6%, Grüne 8,4%, AfD 4,7%. #ZDFwahl pic.twitter.com/eHcZ3iM8qG — ZDF heute (@ZDFheute) September 23, 2013
Weltexklusiv: @ARTEjournal Wahlstudio #btw13. Sonntag ab 19:45 Uhr auf #arte mit: Volker Schlöndorff & Jürgen Falter pic.twitter.com/iDGbRBPFaK
— Sinje Matzner (@SinjeMatzner) September 21, 2013
Erst die FDP, nun Kristina Schröders Rückzug. Wenn jetzt noch Pofalla sich selbst für beendet erklärt, hören wir auch auf. #btw13 — extra3 (@extra3) September 22, 2013
Social Media als Spiegel der Gesellschaft
Ich habe selbst Twitter als Second Screen zur TV-Berichterstattung genutzt und bin positiv überrascht gewesen, wie die Wahlbeobachtung auf Twitter vonstatten ging. Im Vergleich zu den Parteien sind die Bundesbürger und zahlreiche Medien sehr kreativ und aktiv gewesen. Es entstanden zudem zahlreiche Tumblr-Blogs, die sich kritisch mit allen Parteien auseinander setzten.
Netzpolitik ist in Deutschland noch immer ein Nischenthema. Es gibt hierzulande keine große gesellschaftliche Bewegung, die sich hierzulande gegen NSA und Prism stellt und für die digitalen Bürgerrechte eintritt. Das ist nur ein Thema von vielen, was in der personalisierten Debatte Merkel versus Steinbrück unterging. Auf den Kanzler kommt es an, aber nicht auf eine digitale Gesellschaft. Deshalb wird diese von den führenden Parteipolitikern eher ignoriert. Nur wenige nehmen die Netzdebatte außerhalb der Filter Bubble wahr. Darüber täuschen die Diskussionen auf Twitter und Facebook hinweg. Trotz der zahllosen Tweets spielt die Piratenpartei wie erwartet keine wirkliche Rolle in unserer Gesellschaft.
Im Netz sind die politischen Themen aber beschleunigt worden. Jede Kleinigkeit wurde auf Twitter und Co. aufgebauscht zum großen Skandal. Einzelne Parteipolitiker wurden vom jeweiligen politischen Gegner harsch angegangen. Doch darin spiegelte sich eher die Debatte, die ansonsten offline und in den Medien stattfand. Die Netzpolitik blieb eher ein Randthema, auch wenn die Piratenpartei und viele auf Twitter aktive Netzpolitiker hin und wieder ein anderes Bild zu erzeugen schienen.
Bei der Betrachtung der Parteiseiten gibt es erste Hinweise darauf, dass die künftige Bundestagsgeneration aktiver in Social Media sein dürfte. Auf den Profilseiten der einzelnen Mitglieder des Bundestages lassen sich inzwischen immer häufiger die jeweiligen Social Media Kanäle ausfindig machen. Vielleicht werden viele Abgeordnete es lernen, diese in Zukunft stärker als Dialog- und nicht nur als reinen Push-Kanal zu nutzen. Für den nächsten Wahlkampf auf Bundesebene bin ich zuversichtlich. Dann könnte Social Media einen größeren Part als heute spielen.
>> Hamburger Wahlbeobachter: Endspurt im Onlinewahlkampf: Wie Social Media sind die Spitzenkandidaten auf den letzten Metern
>> Wiwo: Fünf Lektionen aus dem Social-Media-Wahlkampf
>> Süddeutsche: Netzschau zur Bundestagswahl
>> FAZ: Wahlkampf der Gespenster. Die große politische Leistungsverweigerung
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Klasse Zusammenfassung der Wahl im Web. Macht Spaß, das zu verfolgen. Ich glaube, dass Social Media und der Second Screen Wahlen für viele erst mal wieder erfahrbar macht. Die Dynamik einer Wahl ist erspürbar. Und das wichtigste: Politiker können selbst und authentisch ihre Kommunikation in die Hand nehmen. – Wenn sie denn selbst twittern.
„Im Vergleich zu den Parteien sind die Bundesbürger und zahlreiche Medien sehr kreativ und aktiv gewesen. […]“ Interessant, diese Beobachtung habe ich auch nach dem #tvduell gemacht: Es wurde in den Medien zwar berichtet, dass alle nur über die Schlandkette geredet haben. Hat man aber etwas näher hingeschaut, dann zeigte sich, dass die Wähler durchaus die Standpunkte der Parteien kennen und sich kritisch mit der Politik auseinandersetzen. Wer wirklich müde ist, ist die Politik. Für unsere Volksvertreter ist das (Social) Web noch eher #Neuland als für uns. Demzufolge kommt eine saubere Netzpolitik mit wichtigen Themen wie z.B. Ausbau schneller Internetverbindungen in ländlichen Gebieten, viel zu kurz.