Crossmedia Publishing und Content-Marketing sind eng miteinander verknüpft. Das versteht kaum jemand besser als Ehrhardt F. Heinold, Gründer und Leiter des CrossMediaForums und Geschäftsführer der Verlagsberatung Heinold, Spiller & Partner. Er beschäftigt sich seit mehr als einem Jahrzehnt mit beiden Themen und profitiert dabei von seinem Erfahrungsschatz als Fachjournalist, Verlagsberater und Referent.
Crossmedia Publishing ist eigentlich nichts wirklich Neues, dennoch reden viele im Rahmen des Content-Marketing wieder davon. Ist die Zeit jetzt reif dafür? Wie erklären Sie sich das?
CrossMedia war lange Zeit ein Buzzword, das weder von den Unternehmen noch von den Werbe- und Mediaagenturen mit Leben gefüllt wurde. Die einzelnen Medienkanäle, und das betraf lange Zeit vor allem Print und Online, wurden getrennt gedacht und gemanagt. Selbst in der Onlinewelt sind Suchmaschinenwerbung, Displaywerbung und die Social-Media-Aktivitäten oft nicht integriert konzipiert worden.
Technisch ist Crossmedia Publishing schon seit Jahren machbar, denn es gibt zum einen funktionierende medienneutrale Publikationsformate für alle Medientypen wie XML für Texte oder SVG für Grafiken, und zum anderen unterstützen immer leistungsfähigere Content Management Systeme den crossmedialen Content Life Cycle von der Erzeugung über die Bearbeitung bis hin zur Archivierung und Wiederverwertung. Die beiden Kerntreiber für Crossmedia Publishing sind also Effizienz und eine integrierte Kommunikation.
Welche Bedeutung hat der Content in den Unternehmen eigentlich vor dem Web gehabt? Was war der Inhalt tatsächlich wert?
Ohne Inhalte konnte kein Unternehmen funktionieren, da sowohl die interne wie auch die externe Kommunikation darauf basierte: Werbung, Kundenzeitschriften, Pressearbeit, Information des Außendienstes: Nichts ging (und geht) ohne Inhalte.
Es gab auch in den Vorwebzeiten einen Bereich, der crossmediale Konzepte nach vorne getrieben hat, und das war die sogenannte „Technische Dokumentation“. Handbücher und Anleitungen sind ein integraler Bestandteil einer jeden Maschine. Eine Waschmaschine oder ein Flugzeug dürfen ohne diese Dokumentation gar nicht verkauft werden.
Bei technischen Geräten ist die Komplexität ja erheblich: Eine Vielzahl von Bauteilen befindet sich in einer Vielzahl von Modellvarianten. Wird ein Bauteil verändert, muss die Dokumentation entsprechend verändert werden, und das oft in einer Vielzahl von Sprachen. An der Korrektheit der Informationen hängen Haftungsfragen. Deshalb haben sich die Unternehmen hier schon sehr frühzeitig um einen stabilen, standardisierten und möglichst automatisierten Contentprozess bemüht. Das Gegenteil davon war in den kreativen Bereichen zu finden, vor allem in der Marketingabteilung. Da wird ja zum Teil bis heute wie in einer Schreinerwerkstatt gearbeitet. Jedes Werbemedium ist ein Einzelstück.
Der Hypertext hat für uns vieles in der Rezeption von Informationen verändert. Aber wie war es ganz am Anfang in den 90iger Jahren als die ersten Websites entstanden sind? Wie sind die Inhalte auf die Websites gelangt?
Wie bei allen Innovationen: Am Anfang steht die Handarbeit, da werden Einzelstücke gefertigt. Also wurden ganz zu Anfang Inhalte direkt in den HTML-Code geschrieben – kein CMS, keine Workflows, keine Automatisierung. Das waren gute Zeiten für die Internetagenturen, die für jede Textänderung gebraucht wurden und entsprechende Leistungen in Rechnung stellen konnten. Wenn Sie unter diesen Bedingungen z.B. einen Shop betrieben wollen, ist das praktisch unmöglich, denn Preise, aber auch Produktbeschreibungen oder auch das Sortiment müssen jederzeit änderbar sein.
Es heißt immer Content is King, gleichzeitig will niemand für Content zahlen. Woran liegt das?
Content bleibt King, weil die Menschen Inhalte lieben. Entsprechend hat das Internet eine Verfügbarkeit auch von hochwertigen Informationen gebracht wie niemals zuvor in der Geschichte: Nachrichten, Finanzinformationen, lexikalisches Wissen, Sprachwörterbücher, Literatur, aber auch Fachinformationen und sogar wissenschaftliche Inhalte. Dazu kommt mit Google eine Suchmaschine, die mir auf jede Frage eine Vielzahl von Links zu kostenfrei verfügbaren Inhalten liefert. Da gibt es für immer weniger Inhaltssuchende einen Grund, für Inhalte zu zahlen.
Und natürlich haben die Verlage die Entwicklung befördert durch den Glauben, ihre Printerlöse durch Online-Werbeeinnahmen ersetzen zu können. Das führte zu einem beispiellosen Angebot von kostenfrei verfügbaren Zeitungs- und Zeitschrifteninhalten. Das hat so allerdings nicht funktioniert, deshalb gibt es jetzt eine Umkehr hin zu Paid Content, allen voran von der Springer Verlagsgruppe.
Anfangs wurden die Websites noch händisch gepflegt. Doch mit den ersten Redaktionssystemen hat sich einiges geändert? Wie lief die Professionalisierung der Webauftritte ab?
Anfangs wurde alles in HTML zusammengebastelt. Doch schnell wurde klar, dass sich auf diesem Weg komplexe Redaktionsprozesse nicht abbilden lassen. Also entstanden Systeme zur Organisation dieser Prozesse. Von Beginn an gab es hier ein Nebeneinander von proprietären und Open Source-Systemen, die beide zumeist auf der (ebenfalls offenen) Programmiersprache PHP basierten. Als dann der E-Commerce immer wichtiger wurde, entstanden entsprechende Systeme zum Shopmanagement, auch hier in den genannten Varianten proprietär und Open Source.
Als dann immer mehr Menschen das Bedürfnis hatten, sich über das Internet mitzuteilen, entstanden zum einen Systeme zum Management von Communities, und zum anderen Blogsoftware. Und so entstand u.a. WordPress, ein Content Management System, das in der Cloud läuft. Das alles hat zur Professionalisierung von Webauftritten beigetragen, denn durch diese Systeme können Inhalte jederzeit in einem standardisierten Prozess auf unterschiedlichen Medienkanälen in unterschiedlichen Kontexten publiziert werden.
Was leisten heutige Content Management Systeme? Welches sind die wichtigsten?
Wie schon ausgeführt: Ein CMS sollte den gesamten Content Life Cycle unterstützen, von der Erstellung durch einen webbasierten Texteditor über die Aufbereitung (Verlinkungen, Metadaten, multimediale Anreicherungen) bis hin zur Archivierung und der Möglichkeit, die Inhalte in einem anderen Kontext erneut zu verwenden. Ein gutes CMS sollte alle Inhalte medienneutral managen können, um so eine Wiederverwendbarkeit zu ermöglichen.
Die Zahl der am Markt befindlichen Web Content Management Systeme ist noch immer unüberschaubar. Im Open Source-Bereich haben sich vor allem Typo 3 und Drupal durchgesetzt. Im kommerziellen Bereich muss grundsätzlich zwischen fünf Konzepten unterschieden werden:
- Reine WebCMS unterstützen in erster Linie die Publikation von Inhalten im Internet.
- Enterprise CMS bieten darüber hinaus eine tiefe Integration in unternehmensinterne Prozesse. Diese Systeme eignen sich für komplexe Anwendungen und stellen den Highend-Bereich dar.
- Crossmediale CMS bieten die Publikation in weitere Medienkanäle (z.B. App oder PDF).
- Eine weitere Variante bilden Redaktionssysteme, die in erster Linie den Printkanal bedienen, aber auch an ein WbCMS anbindbar sind.
- Media Asset Management-Systeme (MAM) verwalten klassischerweise alle unstrukturierten Daten, von Bildern über Videos und PDF-Dateien bis hin zu Word- oder Exceldateien. Mittlerweile können einige MAM-Systeme auch strukturierte Daten verarbeiten und nähern sich so crossmedialen Systemen an.
Das Problem bei der Entscheidung für das richtige System: Die genannten Varianten kommen in Reinkultur kaum noch vor, jeder Systemanbieter erweitert die Funktionalitäten, so dass nicht immer ganz klar ist, worin die eigentliche Stärke eines Systems liegt. Letztlich muss sich der Anwender entscheiden, ob er ein integriertes System mit möglichst vielen Funktionen will oder einen Best-of-Breed-Ansatz mit den jeweils besten Spezialsystemen favorisiert.
Welche Bedeutung hat in diesem Kontext WordPress? Hat sich dadurch etwas verändert?
WordPress hat einen unschätzbaren Beitrag zur Demokratisierung der Publikationstechnologie geleistet. Dank WordPress (und vergleichbarer Systeme wie Blogger) kann heute jeder ein professionelles Instrument nutzen, um im Internet zu publizieren. Nach meiner Einschätzung folgt WordPress dem Muster einer disruptiven Innovation, wie sie zuerst von Clayton M. Christensen in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma: When New Technologies Cause Great Firms to Fail“ beschrieben worden ist: Begonnen hat Worpress als eine Art „SimpelCMS“, das wegen seines geringen Funktionsumfangs von den marktführenden CMS-Anbietern nicht ernst genommen werden musste. Doch mit der Zeit hat sich aus WordPress ein ernstzunehmendes CMS entwickelt, das als Open Source-Software von einer weltweit aktiven Entwicklercommunity unterstützt wird, Trends setzt und zunehmend auch im professionellen Bereich eingesetzt wird.
Wie sieht der Markt der Media Asset Managementsysteme heute aus? Welches sind die wichtigsten Player?
Das Angebot in diesem Markt ist wesentlich kleiner als im CMS-Bereich. Auch hier gibt es hier zwei Kategorien von Systemen:
- Reine MAM-Systeme von Anbietern wie z.B. Zweitwerk. Elvis, Cumulus oder Neo7even. Wobei auch diese Systeme zunehmend strukturierte Daten in Datenbanken oder sogar als XML-Dateien verarbeiten können und sich somit in Richtung CMS entwickeln.
- Integrierte Systeme wie z.B. von den Anbietern Censhare, Marktsein oder Six.
Open Source-Systeme spielen in diesem Markt kaum eine Rolle, denn selbst ein System wie Alfresco bietet nur eine Entwicklungsbasis und kein einsatzfähiges MAM.
Worauf solle man bei der Auswahl eines MAM achten?
Hier gelten die gleichen Kriterien wie bei jeder Softwareauswahl: Zuerst müssen auf Basis der Kommunikations- und Publikationsstrategie die Anforderungen entwickelt werden, um damit die geeignete IT-Lösung zu finden. Die folgende Tabelle beschreibt diesen Auswahlprozess überblicksartig.
Tabelle 1: Von der Strategie zur IT-Umsetzung
Wie teuer ist ein gutes Media Asset Managementsystem für das Content-Marketing?
Wie immer bei IT-Umsetzungen gilt: Das hängt von den Anforderungen und vom Graf der Komplexität ab. Stark pauschalisiert lässt sich sagen, dass ein leistungsfähiges System mit entsprechender Anpassung und Implantierung ab 100.000 EUR aufwärts kostet.
Nimmt die Wertschätzung für Content in den Unternehmen zu?
Ja, ganz eindeutig. Das lässt sich unter anderem an einem Prozess erkennen, den wir in Hamburg können wir schon beobachten können: Journalisten, die ihren Arbeitsplatz bei Verlagen verlieren, gehen zu Unternehmen, um dort in Redaktionen zu arbeiten. War Content früher etwas, was Unternehmen zusammen mit Werbung oder mit einer Corporate Publishing-Dienstleistung eingekauft haben, so wandert die Contentkompetenz heute in die Unternehmen selbst – bis hin zum Aufbau von ganzen Redaktionen.
Das zeigt: Die Unternehmen wissen sehr wohl um die Wichtigkeit gut gemachter Inhalte. Und kreieren ergänzend zu ihren Produktwelten Themenwelten, die den Konsumenten nicht mit Werbung, sondern mit Informationen und Unterhaltung (Stichwort Storytelling) anlocken und binden. Auf Führungsebene gibt es in innovativen Unternehmen mit dem „Chief Content Officer“ auch schon eine neue Position, die für die Content-Koordination zuständig ist.
Was können die Unternehmen von den Verlagen lernen? Müssen jetzt alle zu Medienhäusern werden?
Wer sich intensiv mit der Frage beschäftigen will, wie Inhalte passgenau für verschiedene Zielgruppenbedürfnisse erstellt und publiziert werden können, der sollte unbedingt von Verlagen lernen (oder, siehe oben, verlegerisches Know-how einkaufen). Auch wenn die Verlagsbranche mit der digitalen Revolution ringt, hat sie den Kampf doch längst aufgenommen und eine Reihe von Antworten auf die Herausforderungen von Crossmedia Publishing gefunden: Welche Inhalte in welcher Form für einzelne Medienformate taugen, wie Fachinformationen unterhaltsam aufbereitet werden können, welche Informationstiefe für welches Informationsbedürfnis richtig ist – all das erproben die Verlage schon seit längerer Zeit. Und das mit gutem Erfolg, wie die hohen Online-Reichweiten vieler Verlagsangebote zeigen.
Unternehmen haben dabei einen großen Vorteil gegenüber Verlagen: Für sie ist Content „nur“ ein Mittel zum Zwecke, für Verlage hingegen der Kern des Geschäftsmodell. Ein Kosmetikhersteller kann eine Website zum Thema Hautpflege aufsetzen, ohne dafür ein Erlösmodell zu besitzen, ein Verlag hingegen müsste Vertriebs- und / oder Werbeerlöse erzielen. Das Budget kommt aus dem Marketing- oder PR-Etat. Das macht viele Dinge sehr einfach.
Innovative Unternehmen wie Redbull zeigen, wohin die Reise geht: Da werden eigene Medien-häuser gegründet und eigene, im besten Fall sogar exklusive Inhalte erzeugt (bei Redbull vor allem mit Sportevents). Redbull geht den Weg konsequent zu Ende und vermarktet diese Inhalte an Verlage! Wenn ich mir den Contentoutput großer Unternehmen anschaue, dann ist klar: Das sind ja längst Medienhäuser. Wenige wisssen das (wie Redbull), die meisten müssen das noch realisieren und dann entsprechend handeln.
Ich denke, dass alle guten Contentwebangebote von Unternehmen letztlich nach Verlagsvorbildern entstanden sind – das ist ja eben eine der Ursachen, warum Verlage es mit ihren Webangeboten immer schwerer haben.
Wir rufen die Content-Revolution in unserem Buch aus. Was sind die gewaltigsten Veränderungen, die wir voraussichtlich in den nächsten Jahren erleben werden? Was könnten Sie sich vorstellen?
Den Begriff Content-Revolution halte ich für nicht zu hoch gegriffen. Wie eingangs schon erwähnt: Die Menschen lieben Inhalte und die damit einhergehende Kommunikation. Das war schon zu Urzeiten so, als Geschichten am Lagerfeuer erzählt wurden, und das ist heute an den digitalen Lagerfeuern so, bei denen sich Millionen von Facebook-Nutzern mit Geschichten und Statements aus ihrem Alltag versorgen.
Die Herausforderung für Unternehmen liegt darin, dieses Bedürfnis nach Inhalten nicht nur über die Pressearbeit, sondern viel direkter zu adressieren. Die klassische Welt der Werbung mit ihrer Zuspitzung und Emotionalisierung wird bleiben, aber sie muss ergänzt werden durch die Welt der Informationen und Geschichten.Momentan gibt es nach meiner Einschätzung kaum ein größeres Unternehmen, das seine Kommunikations- und Contentprozesse komplett im Griff hat. Eine Bestandsaufnahme dürfte eine Vielzahl nebeneinander her laufender Prozesse ans Tageslicht fördern, für deren Koordination wahrscheinlich gar keine einzelne Führungskraft zuständig ist – die Stelle eines Chief Content Officers ist noch eine Rarität.
Mein Zukunftsbild ist das eines Unternehmens mit einer klaren Contentstrategie und einer darauf abgestimmten Workflow- und IT-Infrastruktur. Ich erinnere an den ersten, paradigmatischen Satz aus dem Cluetrain Manifesto: Märkte sind Gespräche. Und Inhalte sind bilden dafür eine Basis.
Bildquellen: Heinold, Spiller & Partner, Shutterstock
Warum lese ich im Artikel nicht ein einziges Mal das Wort Newsroom? Wenn wir über Typo 3 und WordPress reden, sollten als Weiterentwicklung dieser CMS auch Newsroom-Tools sprechen. Bester und modernster Anbieter wäre hier MyNewsdesk.
Danke für den Hinweis auf das Newsroom-Konzept, das längst bei Unternehmen angekommen und auch schon von einigen wenigen umgesetzt wird.
Eine Strategie passt nicht in die fünf Konzepte. Gerne übersehen, dass zumindest ein deutsches System auf dem Markt ist, welches aus granularer Datenhaltung ausleitet (Print, html5, App, Social Media, EPUB3 etc.). Nicht in der Theorie, sondern im täglichen Einsatz, zum Beispiel beim Handelsblatt und der WirtschaftsWoche. Ein System wie tango media mit tango mobil einzusetzen, fordert ein echtes über den Tellerand Denken. Mut zu einer großen Investion und Mut, die internen Abläufe genau zu untersuchen. Ich unterstelle: Es mangelt nicht an Wissen – es mangelt an Mut zur unbequemen Entscheidung. Diese kann ja eigentlich nur für den Inhalt fallen? Und das schreibe ich nicht als MarkSteiner, sondern als Medienmensch, der sich aufrichtig um die Branche sorgt.
Im Nachgang: Das Unternehmen ihre Inhalte zunehmend wie Redaktionen oder Verlage organisieren: Ist das nicht eine Revolution in der Content-Revolution? Redbull ist ja noch ein konventionelles Beispiel, im Print gab und gibt es es Varta-Reiseführer oder HB-Reisemagazine und ähnliches. Konzerne wie Apple, Amazon und Google sind am Ende des Tages das Problem. Sie werden zum Gatekeeper zwischen den Contentanbieter und den Kunden. So gesehen ist die Frage nach einer Strategie, die Frage nach Leben oder Sterben eines Medienhauses. Ja, die Revolution hat begonnen.