Gerade großen und etablierten Traditionsunternehmen fällt es schwer, sich in den sozialen Medien erfolgreich aufzustellen, da die internen Strukturen Innovationen ausbremsen. So oder ähnlich liest sich zumindest eine gern bemühte Behauptung. Dass dem allerdings nicht so sein muss, machen Beispiele wie das von Otto deutlich.
Seit geraumer Zeit bewegt sich der Versandhändler mit über 60-jähriger Geschichte in Social Media und legt dabei eine durchaus beachtliche Souveränität an den Tag. Egal, ob beim Facebook-Gewinnspiel, den Kundendialogen oder der Hilfestellung auf Twitter – Ottos Engagement wirkt durchdacht.
Dass der Konzern das Thema Social Media in der Tat ernst nimmt, wird auch in seinem Social Media Guide deutlich, der uns freundlicher Weise zur Verfügung gestellt wurde. Statt verbindliche Richtlinien und Verbote zu erlassen, will die Otto Group ihren Mitarbeitern lieber Hilfestellung bieten und sie zum aufgeklärten Umgang mit den sozialen Medien ermutigen.
So heißt es zum Beispiel in Punkt vier des Dokuments:
„4. Als Mitarbeiter/in haben Sie das Recht, sich privat und auch öffentlich über das Unternehmen zu äußern – positiv wie negativ. Wenn Sie dies tun, sollten Sie in Ihrem eigenen Interesse und aus Respekt gegenüber der Community möglichst deutlich machen, dass Sie nur aus Ihrer persönlichen Sicht schreiben.“
Auf diesen Punkt möchte ich gerne etwas näher eingehen, da er in meinen Augen das positive Highlight darstellt. Otto gestattet seinen Mitarbeitern hier ausdrücklich, sich im Zweifel negativ über den eigenen Arbeitgeber zu äußern. Irrsinn? Der erste Reflex sagt vermutlich jedem: Negative Äußerungen sollten unterbunden werden. Doch ist dies im Rahmen einer Social Media Guideline wirklich angebracht? Ich denke nicht.
Zunächst hätte ein Verbot von negativer Meinungsäußerung – auch von einem Mitarbeiter gegenüber seinem Arbeitgeber – einen juristisch fragwürdigen Beigeschmack: Es könnte durchaus als konträr zu Artikel 5 des Grundgesetz aufgefasst werden. Doch dies alleine würde lediglich bedeuten, Kritik am Unternehmen in Social Media Guidelines am besten gar nicht zu erwähnen. Aber sie explizit erlauben?
Aus meiner Sicht macht genau dies Sinn, was ich mit vier Argumenten unterfüttern will.
Zunächst ist es gleichsam unmöglich, negative Kommentare aus den eigenen Reihen dadurch zu unterbinden, dass ich sie formal verbiete. Wer sich negativ äußern will, wird dies tun. Ein anonymes Blog oder einen Twitteraccount ohne Bezug zur Person machen es möglich. Daher wäre ein derartiges Verbot ohnehin ein Kampf gegen Windmühlen, der im Zweifel negative Reaktionen auf Seiten meiner Mitarbeiter auslöst. Diese nämlich könnten den Eindruck bekommen, mit solch einer Regelung Mundtot gemacht zu werden.
Im Gegensatz dazu schafft das ausdrückliche Erlauben von Kritik Glaubwürdigkeit nach innen und außen. Der Belegschaft vermittelt man das Gefühl, sie ernst zu nehmen und auch konträre Positionen zuzulassen. Im Idealfall schafft man so – vorausgesetzt die Klausel gilt nicht exklusiv für Social Media sondern spiegelt die Unternehmenskultur im Ganzen wieder – ein positiveres Betriebsklima.
Doch auch in der externen Kommunikation setzt eine Klausel wie die von Otto ein Zeichen. Es wird deutlich: Dieses Unternehmen fürchtet sich nicht vor Kritik und nimmt sie vermutlich ernst. Wer dies bei den eigenen Mitarbeitern so handhabt, wird Kritik seitens der Kunden wohl ebenfalls nicht ignorieren.
Und schließlich baut man sich als Unternehmen mit einem solchen Zugeständnis an die Mitarbeiter einen gewissen Druck auf, einen möglichst fairen Umgang zu gewährleisten. Denn natürlich ist das Ziel einer solchen Formulierung nicht, plötzlich ein Heerschar negativer Kommentare der eigenen Mitarbeiter im Netz zu finden. Das Gegenteil ist der Fall. Denn finden sich trotz Erlaubnis kaum bis keine negativen Äußerungen, muss das heißen: Die Mitarbeiter sind zufrieden. Und dafür muss man im Zweifel einiges tun. Otto, so scheint es, ist souverän und selbstsicher genug, der eigenen Kultur und den Mitarbeitern so weit zu vertrauen.
Die kompletten Social Media Guidelines der Otto Group lauten wie wie folgt:
1. Gehen Sie bei jeder Veröffentlichung im Internet sorgsam mit unternehmensbezogenen Informationen um. Als Mitarbeiter/in von OTTO oder der Otto Group haben Sie sich arbeitsvertraglich verpflichtet, Stillschweigen über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse zu wahren. Sollten Sie Zweifel haben, wenden Sie sich an Ihre Führungskraft.
2. Bitte denken Sie daran, dass Vorträge und Veröffentlichungen der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Unternehmens bedürfen, wenn die Interessen von OTTO oder der Otto Group berührt werden. Stimmen Sie sich mit Ihrem Bereichsleiter und dem Direktionsbereich Unternehmenskommunikation ab. Geben Sie sich bei einem Vortrag oder einer Veröffentlichung mit Namen und Funktion zu erkennen.
3. Private Online-Veröffentlichungen auf Social Sites, in Communities, Foren, Blogs, Wikis und andere Formen der Online Kommunikation sollten Sie stets als privat kennzeichnen. Für diese Äußerungen sind Sie persönlich verantwortlich. Seien Sie sich bewusst, dass ihre Äußerungen im Web öffentlich sind und für einen langen Zeitraum bleiben. Schützen Sie Ihre Privatsphäre.
4. Als Mitarbeiter/in haben Sie das Recht, sich privat und auch öffentlich über das Unternehmen zu äußern – positiv wie negativ. Wenn Sie dies tun, sollten Sie in Ihrem eigenen Interesse und aus Respekt gegenüber der Community möglichst deutlich machen, dass Sie nur aus Ihrer persönlichen Sicht schreiben.
5. Wenn Sie einen eigenen Blog betreiben und die Inhalte mit dem Unternehmen zu tun haben, nutzen Sie bitte einen Disclaimer wie: „Die Postings auf dieser Site sind meine persönliche Meinung und repräsentieren nicht die Positionen, Strategien oder Meinung von OTTO oder der Otto Group.“
6. Denken Sie daran, Urheberrechte anderer – auch die von OTTO oder Otto Group – nicht zu verletzen.
7. Respektieren Sie die Netz-Community. Verzichten Sie auf obszöne Äußerungen, persönliche Beleidigungen, Verunglimpfungen wegen Rasse, Religion, Geschlecht oder Herkunft. Respektieren Sie die Privatsphäre anderer.
8. Zitieren oder verweisen Sie möglichst nicht auf Geschäftspartner.
9. Erfahrungen zeigen, im Netz sollten Sie auf Streit und Besserwisserei verzichten. Wenn Sie einen Fehler machen, korrigieren Sie diesen schnellstmöglich. Und wenn Sie frühere Postings ändern, dann kennzeichnen Sie diese nachträglichen Änderungen.
10. Ob auf Ihrer Website, einer Social Site, in Blogs, Foren oder in Twitter: Seien Sie stets authentisch!
Intern wurden Sie, wie uns Thomas Voigt, Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation der Otto Group, wissen lies, positiv aufgenommen, besonders vom bereits in Social Media aktiven Teil der Belegschaft. Ihre Meinung in den Kommentaren interessiert uns ebenfalls.
Interessanter Beitrag, schon gebookmarkt – danke!
Ach ja, und thematisch: Ich finde es gut, wenn sich MitarbeiterInnen mal nicht vor ihrem Unternehmen „fürchten“ müssen – ob das in der Realität wirklich so gehandhabt wird, ist eine andere Frage.
Bietet „Otto“ darüber hinaus eigentlich noch diesbezüglich für MitarbeiterInnen etwas an? Trainings? Handbücher? Auch z.B. was den angesprochenen Schutz der Privatsphäre betrifft. Wie weit fühlt sich Otto für seine MitarbeiterInnen im Web „verantwortlich“? Das wäre auch mal interessant herauszufinden (nicht nur bei Otto, auch generell).
lg
Hallo Sonja,
als OTTO-Mitarbeiter und aktiver Twitterer kann ich dir versichern, dass diese Guideline auch in der Realität so umgesetzt wird. Du wirst bei meinem Twitter-Account ( http://twitter.com/OrangeSN ) beispielsweise lustige und vereinzelt auch kritische Tweets zu meinem Arbeitgeber finden.
Falls du noch keine Antworten auf deine anderen Fragen bekommen hast, kann ich gerne einen Kontakt zu unserer Kommunikation herstellen. Meld dich einfach kurz hier oder bei Twitter. Unser Twitter-Team ( http://twitter.com/otto_de ) könnte das auch machen, falls es offiziell sein soll. 🙂
Gruß Sören
Man seid ihr gut 😉