Was für eine Wohltat: Die Ära, in der echte und selbstberufene Trendsetter auf zahllosen Medienkonferenzen und Werbekongressen ihre Zuhörer mit nebulösen Visionen und Theorien verwirrten, scheint vorbei. Das zeigten nicht nur die inspirierenden Workshops und Screenings auf der Messe omd, sondern auch der gestrige Innovationstag der Agenturguppe Serviceplan. In dem überdachten Innenhof der Agentur sprachen die Referenten vor rund 380 Gästen zwar über "Megatrends" (und der Begriff lässt ja eigentlich Schlimmes ahnen), aber sie meinten damit Trends im Hier und Jetzt, die sie mit Beispielen und Erfahrungen würzten.
Es herrschte kirchlich-andächtige Stille, als Claus Hipp, Gallionsfigur ökologisch handelnder Unternehmen, Geschichten über sein Babykost-Unternehmen erzählte, die bis in die 50er Jahre reichten. Das machte jedem klar: Ein Unternehmen muss Nachhaltigkeit und Reputation „vorleben“. Man muss es, wie Claus Hipp, verkörpern – und es nicht den PR und Marketingabteilungen überlassen.
Christiane zu Salm, seit April Cross-Media-Vorstand bei Hubert Burda Media, zeigte, wie sie ihr Medienhaus "in Richtung Zukunft auffrischen" will und präsentierte dazu eine komplexe Grafik namens "Cross Media Grid". Darauf hatte sie die einzelnen Burda-Medien zielguppenübergreifend sortiert – und so sollen sie künftig auch vermarktet werden: Printableger, Websites und Communities einträchtig nebeneinander, schön nach Zielgruppen sortiert – als "vertikale Netzwerke". Denn bei Burda sei Reichweite künftig nicht mehr alles, so zu Salm, vielmehr orientiere sich der Verlag künftig an Zielgruppen. Diese neue Art der „Monetarisierung“ (ihr Lieblingswort) zeigten auch die Beteiligungen Burdas wie das vertikale Frauennetzwerk Glam und die Einrichtungscommunity MyDeco.
Marc Samwer, Geschäftsführer European Founders, erklärte den Zuhörern, dass die Zeit für Mobile, nach langen Jahren des Herbeibetens, nun endlich gekommen sei. Als erstes würden Devices für Kommunikation, Social Networking und Dating "fliegen" (Samwers Lieblingswort). Aber, so Samwer mit Blick auf die lauschenden Agenturleute: "Glauben Sie nicht, dass das für Ihre Kunden unmittelbar interessant ist." Erst danach käme die Zeit für mobile Preisvergleiche, gefolgt von E-Commerce-Angeboten.
Matthias Ehrlich, Vorstand bei United Internet, berichtete von der Kraft des Targetings: 80 bis 85% der Kampagnen, die auf United Internet-Medien laufen, seine mittlerweile Targeting-Kampagnen. "Targeting wird die Werbung revolutionieren", so Ehrlich. Sie sorge für ein Revival der Zielgruppen, die nun besser und schärfer denn je gebildet werden könnten. Und er berichtet von einem sehr konkreten Fall: Anhand von Nutzerdaten habe United Internet ermittelt, dass die Zielgruppe jener, die Zahnpasta mit Kirschgeschmack mögen, mit der Zielgruppe, die sich für Sterbegeldversicherungen interessierten, korreliere. Solche Erkenntnisse könne man gewinnen, ohne mit dem Datenschutz in Konflikt zu geraten. Für Mobile Media ist er, im Gegensatz zu Marc Samwer, weniger zuversichtlich: Denn derzeit seien die Zielgruppen dieses Mediums für Targeting noch nicht groß genug. Das Problem: "Mobile Marketing wird ohne Targeting nicht funktionieren."
Alles in allem war es ein angenehmer, lockerer Innovationstag, auf dem die Referenten einen deutlichen Eindruck davon hinterließen, mit welcher Intensität die Wirtschaft an der Medienzukunft arbeitet. Was sonst noch war? Fußballtrainer Felix Magath nannte Uli Hoeneß ein "Vorbild" wegen seines Geschicks Sport und Marketing zu vereinen. Und Samwer versprach. "YouTube wird das Fernsehen der Zukunft. Da gehe ich mit jedem eine Wette ein."
Doris Eichmeier, Imagecapital