Wie viel Aufmerksamkeit ist eigentlich erlaubt? Darf mann oder frau sich in der Öffentlichkeit wirklich via Corporate Blogging derart prostituieren, wie wir Blogger es doch mehr oder weniger tun? Wir schreiben über unsere Reisen, Geschmäcker, Beziehungen, Arbeit und den nächsten Urlaub, erläutern darüber hinaus Vorträge, zeigen wie kompetent wir sind und diskutieren, ob Web2.0 links- oder rechtsherum als Begriff genutzt werden darf. Doch gibt es inzwischen sogar einen Aufmerksamkeitsüberdruss – etwa bei der Blogleserschaft? Das würde zumindest die W3B-Studienergebnisse ein wenig erklären, nach der es vielleicht sogar mehr Leser als Blogger gäbe.
Vielleicht sollten wir uns (zumindest) beim Corporate Blogging doch mehr am akademischen Betrieb orientieren. Dort gibt es immerhin einen media citation impact factor. In der Universität zählen Zitate und Veröffentlichungen in den relevanten Fachmedien für das Renommee des Einzelnen. Doch seit einigen Wochen gibt es auch hier eine rege Diskussion darüber, ob Universitätsprofessoren sich nicht öffentlich etwas mehr zurücknehmen sollten. Es ist bereits die Rede von Talkshowprofessoren, die in jeder TV-Diskussion dabei und ständig in Zeitungen präsent sind, aber sich angeblich zu wenig um Forschung und Lehre kümmern würden. „Die Zeit“ nahm die Diskussion um einige Quotenkönige zum Anlass, sich mit den Starprofessoren näher auseinanderzusetzen. Die Wochenzeitung hat ein eigenes Ranking der deutschen "Sendungsbewussten" erstellt, in dem sie die Sichtbarkeit der großen Stars bewertete.
Dazu zog sie bei den Professoren die Zahl der Google-Einträge, den Amazon-Rank des
jeweils bekanntesten Werkes, die Teilnahmefrequenz in den Talkshows
(BeckmannChristiansenIllnerKerner) in den vergangenen fünf Jahren sowie ihre Nennung in der Pressedatenbank Genios heran. Herausgekommen sind unter anderem einige gute Ergebnisse für
den Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter, den Philosophen Peter Sloterdijk und den Medizinprofessor Dietrich Grönemeyer.
Auf eine derartige Star-Diskussion können Corporate Blogger sicher ebenfalls
gespannt sein. Manchmal gibt es sie sogar bereits in Ansätzen. Doch wer
als Mitarbeiter eines Unternehmens aus eigenem Interesse bloggt, dürfte
häufiger mit der Frage konfrontiert werden, woher er denn überhaupt die
Zeit für das Recherchieren und Schreiben nimmt. Das könne doch
eigentlich nur auf Kosten der normalen Arbeit gehen.
Dabei wird oft völlig übersehen, welchen Stellenwert die
Öffentlichkeitswirksamkeit für die Reputation eines Unternehmen haben kann. Wenn das
Bloggen nicht wirklich zu den Aufgaben eines Angestellten zählt, könnte
es sich sogar negativ auf die interne Reputation auswirken und dadurch
die Gefahr einer Kündigung beschwören. In der öffentlichen Wahrnehmung
repräsentiert der Angestellte als Ansprechpartner sein Unternehmen und fungiert somit in der Öffentlichkeit durchaus als Unternehmensbotschafter.
>> Die Zeit: Die Sendungsbewussten
>> Amazon: Mario Gmür: Der öffentliche Mensch
>> Amazon: Georg Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit
>> PR Blogger: Blogs lenken von der Arbeit ab
>> PR Blogger: Blog-Ärger bei der Arbeit
>> PR Blogger: Relevanz von Weblogs – wie lassen sich Blogs bewerten
schade — nach dem titel dachte ich, es wird *noch ein wenig* substantieller. machen wir uns nichts vor: natürlich kostet bloggen zeit, und nur wenn man zeit investiert, bloggt man gut. ausserdem ist es wahrscheinlich eine frage, die man zumindest größtenteils schon im vorfeld klären muss — nämlich wie man sein blog anlegt, wie viel persönliches vorhanden sein soll und darf, wie viele personen bloggen etc. für ein corporate blog finde ich es unerlässlich, einen guten mix zu finden: das bedeutet, sich selbst als mensch „zu outen“, aber gleichzeitig sein ziel (oder das der angeschlossenen unternehmung) im blick zu behalten. aber auch mal was spontanes, raues und überraschendes anzubieten. denn bei aller qualität und fokus: letztendlich liest man doch blogs von leuten gerne, die einfach gut schreiben können und einem manchmal von der seele posten ..
wie stark wird die abkehr von blogs, wie sie bei der W3B festgestellt wurde, erst sein, wenn sich zunehmend eine reihe „begradigter“, beruflich angestellter blogger (die wenig zeit haben, aber viel zu erzählen) in die blogosphäre verirren?
darüber hinaus ist es IMHO durchaus sinnvoll, interessierten lesern links und zugänge zu weiter gehenden „privaten“ umgebungen anzubieten, die das blog nicht beeinflussen, aber die chance auf ein besseres „kennen lernen“ geben. das kann ein flickr-badge sein, das private blog oder openBC profil oder auch nur der amazon wunschzettel.
am interessantesten ist jedoch, wie sich die „gläsernheit“ langfristig auf uns und unsere gewohnheiten auswirkt..