Beginnen wir den Blick in die Zukunft der deutschsprachigen Blogs mit der Gegenwart. Genauer gesagt schauen wir auf die angelsächsischen Länder, in denen Blogs aus der digitalen Nische traten und gesellschaftlich wirksam wurden. Sie liefern für die deutschsprachigen Wirtschaftsblogs eine Art Blaupause der Entwicklungsmöglichkeiten, auch wenn dabei so manche europäische und deutsche Eigenheit in Kultur und Mediennutzung berücksichtigt werden muss.
Die U.S.-Blogosphäre hat wirkungsmächtige Ökonomie-Blogs wie Paul Krugmans Conscience of a Liberal, Greg Mankiw, oder Marginal Revolution hervor gebracht, die viele „klassische Medien“ ein Reichweite und öffentlichem Einfluss übertreffen und zu festen Institutionen der Fachwelt und der öffentlichen Agenda geworden sind – doch dieser erbsenzählerische Unterschied der jeweiligen Medien nach Reichweite, Leserschaft und zitiert werden ist gar nicht wesentlich. Er fände in den U.S.A. wahrscheinlich kaum Beachtung. Viel wichtiger ist, dass die Unterschiede zwischen einzelnen ökonomischen Teilbereichen oder Teildebatten an sich weitest gehend verschwunden sind und im Diskurs keine Rolle spielen.
Social Media sind Alltag für viele Ökonomen, Journalisten, Wissenschaftler und Interessierte gleichermaßen. Sie sind der soziale Schmierstoff zwischen Medien, wissenschaftlichen Institutionen und den Blogs der wortgewaltigen Koryphäen. Fragmentierte Debatten finden schon deshalb nicht statt, weil sie gegen das angelsächsische Grundverständnis von Social Media verstoßen: Mehr mit- oder gegeneinander, weniger übereinander oder gar aneinander vorbei.
Die erfolgreichsten Ökonomie-Blogger wie Paul Krugman verbinden in ihren Blogs das Beste aus allen Welten: Die Expertise eines anerkannten Wissenschaftlers, die scharfe Schreibe des U.S.-Publizisten und die Netzwerkfähigkeit eines Social Media Profis, der sich nicht nur als Autor feiern lässt, sondern auch als Kommentator und Replikator selbst in den Ring steigt. Würde eine U.S.-Zeitung den Blogger Krugman nicht zitieren? Im Gegenteil – sie wäre wahrscheinlich für eine Replik mit Link dankbar.
Die U.S.-Blogosphäre für Ökonomiethemen hat wegen dieser fehlenden Barrieren viel stärker den Charakter einer großen Community, in der Debatten von Inhalten, dem Diskursverlauf und der Abstimmung per Click und Tweet strukturiert werden. Meiner Ansicht nach sind die U.S.-Blogs nicht deshalb zu Institutionen der öffentlichen Debatte geworden, weil sie um ein vielfach größeres Netzwerk als die Wirtschaftsblogs hierzulande und signifikante Reichweiten verfügen, sondern umgekehrt: Sie haben diese enorme Reichweite und Wirkungsmacht gewonnen, weil sie die Fragmentierungen überwunden und eine gemeinsame Debattenarena entwickelt haben.
Was also haben die Amerikaner, das wir nicht haben?
It’s the „Social“, stupid! Die Ökonomie des Netzwerks
Hierzulande wird das „Netzwerk“ eher als quantitativer Begriff gebraucht, der in Lesern, Followern oder Likes gemessen werden kann. Im angelsächsischen Raum ist „Networking“ viel mehr ein qualitativer Begriff, der eine Kultur des Diskurses beschreibt. Die Qualität des Networkings ist die Fähigkeit, Teil der Debatte zu werden und Resonanz zu erzeugen, nicht nur Erwähnung. Der mediale und der soziale Aspekt werden relativ gleichwertig behandelt. Die U.S.-Social Media Kommentatoren folgen dabei einer simplen ökonomischen Ratio: Das Netzwerk, das „Soziale“, hat im angelsächsischen Raum eine größere Wertigkeit als bei uns.
Wenn heute deutsche Journalisten Zeitmangel für spärliche Kommentarantworten oder verwaiste Twitter-Accounts verantwortlich machen, ist das absolut verständlich – aber britische Redaktionen räumen ihren Journalisten eben mehr Zeit, manchmal sogar mehr Stellen für Kommentierungen oder Tweets ein, weil sie darin mehr als eine Artikel-Appendix sehen und U.S.-Think Tanks haben ein ökonomisches Interesse an einem wertigen Netzwerk. Diese“ Ökonomie des Netzwerks“ kann uns auch für die deutsche Blogosphäre optimistisch stimmen, weil es schlichtweg schlau und einträglich ist, ein qualitatives Diskursnetzwerk aufzubauen. Ein interessantes Indiz für den allmählichen Wertigkeitswandel ist auch, dass Wirtschaftsblogger zunehmend als Experten und Kommentatoren auf Wirtschaftskonferenzen eingeladen werden, beispielsweise auf den Kongress Ökonomie neu Denken.
Die Zukunft und die Ökonomie der Geschwindigkeit
Die kleine, aktive Szene der deutschen Wirtschaftsblogger ist meiner Ansicht nach heute schon so etwas wie der Nucleus für eine ökonomische Community-Öffentlichkeit nach angelsächsischem Vorbild. Engagierte Blogger, Journalisten und Wissenschaftler bloggen in dieser Nische längst über die Barrieren und Fragmentierungen der ökonomischen Debatte hinweg. Die zukünftige Entwicklung dieser Szene hängt davon ab, ob die Netzwerkkultur auch die wissenschaftlichen Institutionen und Medien stärker erfasst und eine größere gemeinsame Diskursarena entstehen lässt. Zukunft ist in Social Media eine recht kurzfristige Angelegenheit und manchmal einfach eine Frage der Geschwindigkeit. Dazu drei Zukunftsperspektiven:
Evolution: Generationenwechsel als Paradigmenwechsel: Junge Leute, die es gewohnt sind, Meinungen zu vertreten und über Facebook, Twitter oder den eigenen Blog zu bilden, bringen durch ihre digitale Sozialisierung viele der kulturellen und kommunikativen Kompetenzen mit, die „das Soziale“ bei Social Media ausmachen. Für sie dürfte der professionelle und erfolgreiche Umgang mit Blogs und Netzwerken Chance und Notwendigkeit zugleich sein. Die langsame Evolution hin zu einer sozialeren Debatte ist damit relativ gewiss.
Chancen für die Early Adopters: Es geht auch schneller. Anspruchsvolle Blogs und Social Media im Ökonomiebereich sind im Moment noch ein Chancenmarkt: Wenige Nischen sind gut besetzt, die Szene ist (noch) überschaubar. Mit Social Media Kompetenz, besonderem fachlichem Know-How und textlicher Chuzpe stehen die Chancen gut, sich mit überschaubarem Aufwand einen Namen und eine fachliche Reputation über Blogs zu schaffen. Der schon zitierte Kantoos beispielsweise bloggt erst seit etwas mehr als einem Jahr und gehört bereits zum viel zitierten Inner Circle der Wirtschaftsblogosphäre.
Der kollektive Quantensprung: Ich glaube, dass die deutschsprachige Wirtschaftsblogosphäre nur dann wirklich erfolgreich und öffentlich wirkungsmächtig werden wird, wenn die drei Blogbereiche der freien Blogs, der Medienblogs und der Institutsblogs stärker interagieren und die oben angesprochene gemeinsame Diskursarena entwickeln. Im Grunde kann sich keiner der Bereiche ohne den Diskurs mit den anderen qualitativ wirklich weiter entwickeln, weil der eigentliche Vorteil von Blogs und Social Media nicht darin besteht, sie als weiteren Publikationskanal für bekannte Inhalte zu besitzen, sondern durch den Austausch wirklich Neues zu generieren. Solange dieser Austausch nicht oder nur beschränkt gegeben ist, bleiben freie Blogs, Medien- und Institutionelle Blogs fragmentarisch und jeder für sich unterhalb ihres gesellschaftlichen Einflusspotenzials. Stärkere Kollaboration würden könnte also einen Quantensprung für die ökonomische Debatte insgesamt auslösen, von dem alle Beteiligten profitieren würden. Hoffentlich verläuft die Zukunft logisch.
Morgen stelle ich einige Diskursteilnehmer und ausgewählte Blogs vor.
Nützliche Links auf Hinweis von Ralf Keuper zu einer Bloggerstudie der Weltbank
Ein Kommentar zu “Die deutschen Wirtschaftsblogs (Teil 2): Ein Zukunfts- und Gegenwartsszenario”