Ist es nicht interessant? Zur gleichen Zeit, in der es salonfähig wird, an der Kommunikationsqualität im Social Web herumzumeckern – etwa B2B- und B2C-Unternehmen, die keine nachhaltigen Kundenkontakte aufbauen konnten, aber auch Prominente wie Bob Geldof und Anke Engelke – gewinnt ein Thema an Bedeutung: die Qualität des Contents (auf Deutsch: Inhalte). Es häufen sich Artikel zum Thema, etwa jener von Albert Pusch über die Bedeutung des „Markenjournalismus“. Und der Media-Treff berichtet über eine Studie der World Federation of Advertisers (WFA), nach der „trustworthy news“ für Unternehmen das Wichtigste sind, um ihre Zielgruppen im Social Web zu erreichen.
Noch vor kurzem wurde Content in Unternehmen gerne abgetan als unnützes Beiwerk, das man sich – wenn es denn sein muss – von Praktikanten und eifrigen Usern kostenlos zusammenschustern lassen könnte. Sieben der zähesten Vorurteile gegenüber Content habe ich auf meiner Website beschrieben. Kurzum: Content war bislang kein Thema. Machen Sie sich doch mal den Spaß und durchsuchen sie ein paar der unzähligen „Erfolg im Social Web“-Kompendien nach Tipps für guten Content. Sie werden kaum fündig (außer, wenn es um Blogs geht).
In den USA und in Großbritannien ist man eine Riesenschritt weiter: Dort gibt es seit über zwei Jahren eine höchst lebendige Branche der „Content Strategist“, die zahlreiche Bücher veröffentlichen und Kongresse abhalten. Als Einstieg empfehle ich das Angebot des Content Marketing Institutes oder das Buch „Content Strategy for the Web“ von Kristina Halvorson. Im September kommt ein spannender Kongress aus den USA nach London: das Content Strategy Forum: drei Tage voll gepackt mit guten Referenten und praxisrelevanten Themen wie „How to Staff a Content Strategy Project“ oder „Mobile Content Strategy“.
Nun scheint auch in den Unternehmen hierzulande der Content ein Comeback zu erleben – als Qualitäts- und Kundenbringer. Warum? Ganz einfach: Weil jede Kommunikation langfristig an Wert gewinnt, wenn der Content gut ist! Und wenn im Social Web die Kommunikationsergebnisse nicht so ausfallen wie erhofft, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die kommunizierten Inhalte besser oder anders oder strukturierter werden müssen.
Zur Verdeutlichung ein paar Gegenfragen:
* Was nutzt ein großer Buzz im Social Web (etwa durch ein Facebook-Preisausschreiben), wenn neugierig Gewordene keine weiteren Informationen finden, die Vertrauen aufbauen könnten?
* Welche langfristige Wirkung hat eine Social-Web-Aktion, wenn die Infos auf der Website nicht mit ihr zusammenpassen?
* Welche Ausstrahlung haben Markenbotschafter, die schnell und kompetent auf Twitter antworten sollen, sich aber erst mühsam alle Informationen zusammensuchen müssen?
* Was bringen dünne Werbeinfos auf Slideshare (tolle Optik, lauer Inhalt) und nur Journalisten und Geschäftskunden mit tiefer gehenden Informationen versorgt werden?
Ich persönlich freue mich sehr über diese Entwicklung. Doch es gibt noch viel zu tun, belegt eine Studie der Meltwater Group zum Thema „Content Marketing“ (PDF): 64 Prozent der befragten deutschen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern halten es für wichtig – aber nur 36 Prozent haben eine Content-Marketing-Strategie. Das heißt: 28 Prozent dieser Unternehmen produzieren und verbreiten Inhalte ohne Plan – deutlich mehr als ein Viertel!
Ich hoffe, dass viele Unternehmen erkennen, wie groß die Bedeutung einer guten Content-Strategie für ihren Geschäftserfolg ist. Das Social Web ist dafür eine großartige Schule. Unternehmen, die dort ihr „Aha-Erlebnis“ hatten, verstehen zudem: In der Content-Strategie und im Content-Management ist die Trennung zwischen Online und Offline eine künstliche. Die Qualität muss an jedem einzelnen Kundenkontaktpunkt stimmen. Deshalb nehmen sie ihr Wording unter die Lupe (und wenn sie keines haben, entwickeln sie eines), checken die Vertriebsunterlagen, sichten die Vorträge der Mitarbeiter und vieles mehr. Und sie lernen: Ihre Informationen müssen thematisch zugespitzt und hochwertig sein, voller Profilschärfe, Charakter und Markenstil – nur so haben sie, vor allem in der Datenflut des Social Web, eine Chance.
Gute Inhalte eignen sich als Pull-Elemente im Social Web. Wie das geht, zeigt Tchibo: Der Kaffeeröster hat ein Corporate Blog und eine Facebook-Seite aufgebaut, die sowohl anhand diverser Marketingmaßnahmen „pusht“ als auch mit fundierten Informationen zur Kunst des Kaffeeröstens „pullt“. Oder Rügenwalder: Der Wurstfabrikant wirbt mit einem höchst unterhaltsamen „Wurstwahninn“-Video auf Facebook und Youtube: „Rügenwalder hat’s geschafft, Würstchen gibt’s jetzt ohne Saft.“ Wer wissen will, mit welchen Zutaten Rügenwalder das gelingt, wird gleich auf Facebook unter „Produkte“ informiert.
Tchibo und Rügenwalder gelang eine ausgewogene Mischung. Warum? Weil sie guten Content nicht in die hintersten Ecken ihrer Corporate Websites verbannen, sondern ihn dort anbieten, wo die Interessenten sind.
Überhaupt: Viele Unternehmen packen ihren Content auf die Corporate Websites – und da lagert er dann, völlig unbeteiligt an den Kommunikations-Bemühungen im Social Web. Wie häufig verlinken Corporate Blogs auf Inhalte, die auf der Corporate Website bereit stehen? Eben. Schade, wenn Konsumenten, die im Social Web auf ein Produkt oder Unternehmen neugierig werden und auf die Corporate Website wechseln, dort nur mühsam (oder gar nicht) weiterführende Inhalte finden. Aber mit solchen Informationspfaden gelingt Vertrauensaufbau und langfristiger Kundenkontakt.
Eine Website, die eng mit der Social-Web-Kommunikation korrespondiert – nicht nur mit Social Media PlugIns, sondern durch das Verlinken mit passenden Content-Details – könnte eine völlig neue, agilere Bedeutung bekommen. Die Website würde lebendiger und die Social-Web-Kommunikation würde von der Qualität guter Website-Informationen profitieren. Klingt logisch. Doch nur 33 Prozent der im deutschen Aktienindex Dax 30 gelisteten Unternehmen informieren auf ihrer Firmen-Homepage über ihr Engagement in Facebook (Studie von NetFederation).
Höchste Zeit also für gute Content-Strategien in deutschen Unternehmen. Ich persönlich freue mich deshalb sehr auf das Content Strategy Forum in London – und über jeden Kollegen aus Deutschland, den ich dort treffe. See you there!
Bildnachweis 1: Je wertvoller der Content, desto reicher die Kommunikation. © thegiantbook – Fotolia.com
Bildnachweis 2: Tchibo gelingt auf Facebook die richtige Mischung aus Pull- und Push-Elementen
Das ist im Fall Rügenwalder Mühle so allerdings nicht richtig. Der vor einem Monat eingeführte Reiter Produkte (http://www.facebook.com/note.php?note_id=197747803577399) auf der Facebook-Seite bietet bereits jetzt und wird in Zukunft noch weitere Produktinformationen, zusätzlich zu denen auf der Corporate Website bereits erreichbaren Infos, bieten.
Wir haben den Text jetzt nochmal aktualisiert, was das Rügenwalder-Beispiel betrifft, um den aktuellen Stand abzubilden. Ist wirklich eine informative Facebook Seite geworden.
Vielen Dank für diesen hervorragenden Rundum-Blick zu einem lang verschmähten Thema. Werde diesen Artikel gleich bei mir verlinken. Tut gut, wenn mal jemand anderes darüber schreibt als immer nur ich 😉
@Tobi: Danke für den Hinweis – die Rügenwalder-Infos auf Facebook sind wirklich sehr umfassend geworden!
Hallo Doris, schöner Artikel! Leider befinden wir uns oftmals immernoch in der Phase des Trial and Error. Fragen, die mich derzeit plagen sind: Eher immer in die Breite gehen, um die Masse der Fans oder Leser auch abzuholen oder doch mal Spezialthemen spielen, die wenige interessieren, aber mehr „Passion“ zeigen und schaffen können. Hier kann man natürlich abwechseln, je nachdem, wie tief man gehen will. Und dann kommt dann noch der leidige Blick hinzu, den man sich zwangsläufig aneignet, je mehr man mit einem Unternehmen in Kontakt steht: Inhalte werden interessant, die für „weit Entfernte“ eine sehr viel geringere Relevanz haben. Und deshalb: Trial and Error.
Denkst du, dass zuviel Abwechslung auch Fans und Leser vertreiben kann? Also eher auf die Maximierung der Zielgruppe wert gelegt werden sollte, oder auf die umfangreiche Befriedigung Einzelner? Besonders in nicht statischen Medien wie Facebook (gegenüber einem etwas statischeren Blog oder gar einer Website) ist das eine nicht unwichtige Frage.
Beste Grüße,
Christoph
Dankeschön 🙂 Gegen Abwechslung und unterschiedliche Zielgruppengrößen ist nichts einzuwenden – solange die Aktionen zur Marken- bzw. Unternehmensbotschaft passen und sich inhaltlich nicht widersprechen. Das erkennen aber nur Werbetreibende, die ihre Marken- und Content-Strategie fest im Blick haben.
Ich bin ja mal gespannt, ob die Preise für Textcontent-Lieferanten, die seit einiger Zeit auf breiter Front unter Beschuss liegen, mit diesem schönen Verkaufspaket „Content-Strategie“ mit ansteigen, möglichst nicht nur für Konzern-Content, sondern auch kleiner und mittlerer Unternehmen, die ja die Mehrheit der Unternehmen und möglicher Auftraggeber ausmachen. Hilfreich wären da sicher konkrete Antworten zum ROI, die bisher ja immer gerne umschifft wurden. Nur darin aber sieht die Mehrheit der Auftraggeber ein echtes Argument, verständlicherweise.