Klassische Marken funktionieren wie eine Art Konsumkathedrale: Dem devoten Konsumvolk wird ein respekteinflößender Andachtsraum mit emotionalisierenden Devotionalien angeboten. Die Gläubigen versprechen sich vom Kauf dieser Produktdevotionalien eine Art spirituelle Bereicherung ihres Lebensstils. Ich kaufe, also bin ich das, was Marke mir verspricht. Ich Ipad, du Jane. Die Kommunikation dazu mit den potenziellen Kunden ist denkbar einfach, bzw. einweg: Ein Unternehmen lässt eine Marke kreieren, vermarkten und die Zielgruppe antwortet massenhaft mittels Konsum oder eben mit Konsumverweigerung. Die Sensiblen unter den Markenmachern führen zusätzliche Umfragen durch und erstellen ein Psychogramm ihrer Zielgruppe, das als eine Art Blaupause der Markenführung dient.
Die Macken der Marke im Social Web
Für diese planbare Markenwelt wirkt das Social Web wie das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Was ist, wenn die Zielgruppe 2.0 sich nicht mehr von meinem Marketing informieren lässt, sondern selbst Informationen in Sozialen Netzwerken organisiert? Was, wenn sie gar erwartet, dass die Marke nicht nur Botschaften versendet, sondern auf Fragen antwortet, auf Kritik reagiert und der nette Herr Kaiser von der Versicherung auch wirklich chattet oder ans Telefon geht? Wenn sie kritisiert und Veränderungen fordert? Womöglich auf Kanälen auf denen ich noch gar nicht präsent bin?
Die Zielgruppe 2.0 lässt sich nicht mehr führen. Je digitaler und jünger die potenziellen Käufer, desto uninteressanter klassisches Markenmanagement. Wahrscheinlich war das „Führungsprinzip“ bei Marken immer schon ein Stück weit illusorisch, jetzt ist es für viele Marken schlicht altbacken und funktionsuntüchtig. Sind wir auf dem Weg in die Markenanarchie? Stürzen jetzt die Kathedralen der alten Markengötter? Facebook als Markenkiller?
Ein klares „Ja!“ darauf für alle Marken, die sich vom Führungsprinzip der Marke im Social Web nicht lösen können. Auch die Dinosaurier sind schließlich ausgestorben, weil sie sich den geänderten Umweltbedingungen nicht anpassen konnten. Ein klares „Nein – im Gegenteil“ für Marken, die sich von den klassischen Dogmen verabschieden und neue Möglichkeiten der Markenkommunikation hervorbringen.
Soziale Markensteuerung: Marke als Koproduktion mit dem User
Die klassischen Markenkathedralen sind ziemlich hierarchische Gebilde, in denen auf dem Reißbrett entworfene Botschaften von oben nach unten sickern und vom Konsumenten endverwertet werden. Die Marke2.0 funktioniert hingegen eher selbst wie ein Soziales Netzwerk: Wer die besten Dialogmöglichkeiten bietet, wird vom Konsumenten mit „Likes“, „Tweets“, „Google Plus“, Kommentaren oder Blogbeiträgen honoriert. Adidas, Puma oder Nike haben beispielsweise längst lebendige Biotope für ihre Kundencommunities geschaffen. Der Markenwert ist also nicht mehr etwas, was durch Werbemaßnahmen erzielt wird. Er wird quasi von den Fan-Konsumenten verliehen. Reichweite und Markenbekanntheit sind hier soziale Kettenreaktionen, die sich nicht mehr von Anfang bis Ende planen lassen, weil der Markendialog nun mal an zwei Seiten stattfindet: Auf Seiten des Unternehmens und auf Seiten des Konsumenten. Die Marke2.0 ist quasi eine Koproduktion, bei der der User mitgestaltet. Sie muss sich ständig in der menschlichen Interaktion bewähren, nicht in den Datensätzen der Markforschung. Das heißt auch: Die Marke2.0 (oder der Social Media Bereich einer Marke) ist nur so gut, wie das Team, das für sie kommuniziert, nur so gut, wie dieses Team seine Zielgruppe versteht und die Marke spontan auf den ganz persönlichen Dialog interpretieren kann. Man präsentiert den Fans, Followern, Freunden das, was die Situation erfordert, was sie selber sehen und lesen wollen und nicht das, was das Marketing lesen will. Man greift ihr Feedback auf und und arbeitet damit weiter. Für diese Markensteuerung auf Sicht gibt es derzeit noch kaum methodische Instrumente außer Trainings und Social Media Simulationen – und das wird ein Stück weit auch so bleiben. Der professionelle digitale Konsument verlangt ebenso professionelle Kommunikatoren, deren wichtigstes Repertoire die persönlichen Fähigkeiten sind.
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Hallo Herr Semle,
vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Ich habe gerade selbst eine wissenschaftliche Studie zum Thema Markenführung im Web 2.0 angefertigt und heute darüber einen kleinen Artikel in meinem Blog veröffentlicht.
In weiten Teilen deckt sich Ihr Artikel mit den Ergebnissen meiner Studie. Allerdings kommt mir hier doch der Aspekt etwas zu kurz, dass es durchaus Stufen in der Markenführung gibt, die auch weiterhin vom Unternehmen weitgehend autonom gesteuert werden müssen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Kommunikation einer klaren und eindeutigen Markenidentät und -positionierung zu nennen. Eine Marke ist nicht „everybody’s darling“, sondern eine Markenpersönlichkeit. Sie dient vor allem also der Identifikation und Orientierung und muss deshalb ihre Werte auch konsequent kommunizieren.
Strategische Entscheidungen der Markenführung dürfen also auch im Web 2.0 nicht allein den Konsumenten wie in einer Art „Volksabstimmung“ überlassen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass dabei Entscheidungen getroffen werden, die nicht zur Marke passen. Eine rein demokratische Markenführung könnte also zu Konstellationen führen, die eine authentische Markenerfahrung aufgrund von Widersprüchen zur Logik des Geschäftsmodells und zu den Unternehmenszielen vernichten.
Ich würde mich freuen, wenn Sie auch an meinem Artikel zur Markenführung im Web 2.0 interesse haben. Sie finden Ihn unter
http://www.matthias-schubert.com/marketing/studie-zur-markenfuhrung-in-social-media
Mit freundlichen Grüßen aus Berlin
Matthias Schubert
Hallo Herr Schubert, danke erst mal für den profunden Kommentar und an empirischen Befunden, Daten, Studien bin ich immer interessiert.
Sie haben natürlich recht, dass ich hier nur zwischen „Schwarz“ (Alte Markendenke) und „Weiß“ (Neue Markendenke) unterschieden habe und die Zwischentöne nicht berücksichtigt sind. Das war aber ganz bewusst, weil sich in so einem Blog gar nicht alle Differenzierungen darstellen lassen – anders als in Ihrer Untersuchung. Ihr politisches Bild mit der „Volksabstimmung“ will ich gleich aufgreifen: Wie in der Demokratie auch kann nicht zu allem und jedem immer abgestimmt werden, weil sonst keine verbindlichen Entscheidungen zustande kommen. In die Markendenke übertragen heißt das: Die neue Markenführung identifiziert die Bereiche, wo die Marke2.0 sinnvoll ist, wo sie evtl. sogar unvermeidbar ist (weil eine Marke sonst nicht akzeptiert wird) und sorgt dafür, dass hier User mitbestimmen können. Für bestimmte Marken wird das ein sehr wesentlicher Bereich sein, für andere eine Begleiterscheinung – je nach Zielgruppe. DAS ist die strategische Steuerung bei der Marke2.0.
Hallo Herr Semle,
Sie haben das aktuelle Dilemma in der Markenführung vs. Social media sehr klar zusammengefaßt, ich bin in zwei Punkten aber nicht ganz Ihrer Meinung. Was Sie beschreiben ist eine Marke, die sich von der Zielgruppe 2.0 treiben läßt und nur noch das kommuniziert, was der Zielgruppe gefällt, immer auf der Jagd nach Likes und Tweets. Das wäre aber im Sinne einer professionellen Markenführung fatal. Und ich stimme Ihnen nicht zu, daß die Zielgruppe 2.0 sich nicht führen ließe. Beide Punkte hängen sehr eng zusammen.
Ebenso wie ich ein Gespräch in eine mir genehme Richtung führen kann versetzen mich Social Media in die Lage, meine Zielgruppen zu führen. Nur sind die Werkzeuge neu und die Firmen haben noch nicht begriffen, daß es keine reine Marketingaufgabe ist. Sondern das der Diskurs von allen Teilen des Unternehmens geführt werden muß. Sicherlich braucht es dazu noch andere, intelligente Werkzeuge und Steuerungsmechanismen, um dies zu kordinieren und sicherzustellen.
Recht haben Sie damit, daß es dazu professioneller Kopmmunikatoren bedarf – der allgegenwärtig praktische Praktikant ist hier keine Lösung.
Mit freundlichen Grüßen aus Hamburg
Oliver Nickels
http://www.mashupmarketing.de
Hallo Herr Nickels,
es ging mir hier nicht um Führung oder Anarchie (vielleicht war ich da zu undeutlich), sondern um „Steuerung“ statt „Führung“. „Führung“ im klassischen Sinne ist ein hierarchisches Prinzip mit klaren Sender- Empfängerrollen und das funktioniert so im Social Web nicht mehr. Statt dessen müssen Markenstrategien heute Angebote so formulieren, dass die Zielgruppe sie annimmt und mit ihnen umgeht – die Strategie funktioniert also nur, wenn die Zielgruppe mitspielt. Und dieses „Mitspielen“ muss durch kluge Steuerung als Managementprinzip initiiert werden: Durch intelligente Dialogangebote mit Mehrwert. Der Versuch, zu führen, würde bei der Zielgruppe2.0 schon aus kulturellen Gründen scheitern. Der Grundgedanke dieses „Management durch Steuerung“ kommt aus der systemischen Beratung ~ Biete Anreize, statt Befehle und Botschaften….Ihr Gesprächsbeispiel passt genau auf dieses Steuerungsprinzip – insofern liegen wir in der Praxis wahrscheinlich gar nicht weit auseinander 😉