Zu einem klaren Ergebnis kommt die Unternehmensberatung OC&C Strategy Consultants in ihrer Studie "Fit für das Netz? Digitale Transformation traditioneller Medienmarken". Demnach gelingt es vielen Verlagen und Fernsehsendern trotz verstärkter Investitionen nicht, im Internet ein ebenso großes Publikum zu erreichen wie offline.
Um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, haben die Marktforscher einfach Online-Reichweiten mit Offline-Reichweiten verglichen (Print: Leser pro Ausgabe; TV-Reichweite: Seher pro Tag; Online-Reichweite: Unique Users).
Es sind ernüchternde Zahlen, die da präsentiert werden: Keinem der auflagenstärksten Printtitel gelingt es, online so viele Leser zu erreichen wie offline. Einzige Ausnahme: der „Spiegel“. Es folgen, im großen Abstand, die Online-Auftritte von Focus und Computer Bild mit einer Reichweite von rund 30 Prozent (der Gesamtreichweite). Immerhin: Insgesamt kommen die Online-Reichweiten von Computer-, Business- und Nachrichten-Medien den Print-Reichweiten recht nahe. Doch in allen anderen Themenbereichen bleiben die Online-Angebote weit abgeschlagen zurück, vor allem in den Segmenten Ratgeber, Women, People, TV-Programm sowie Sport, Motor und Entertainment. Bei den TV-Sendern sieht es nicht besser aus: Auch sie erreichen offline deutlich mehr Personen als online. Am besten schnitt ProSieben ab, mit 26 Prozent. Fazit der Marktforscher: "Ein großer Teil der vielbeschworenen Online-Revolution findet jenseits der etablierten Marken statt."
Wir schreiben das Jahr 2008. Dass das Internet die Medienlandschaft auf den Kopf stellen wird, ist seit den 90ern Thema zahlloser Kongresse und Konferenzen. Über zehn Jahre ist es zum Beispiel her, als Christian Bachem und ich auf der Messe IFA einen Vortrag über die Verlagerung der Aktivitäten von TV-Sendern ins Netz hielten. Reicht ein gutes Jahrzehnt nicht aus, um die Herausforderung Internet zu meistern?
Liegt es an schwerfälligen Redaktionen, die die tragende Rolle des Internets nicht akzeptieren wollen? An den Geschäftsführungen, weil sie das Projekt "Monetarisierung" nicht gemeistert bekommen? An den Lesern, weil sie Klatsch, Tratsch und TV-Programm unbeirrt am Kiosk kaufen? Oder an der Medientechnik, weil der Einzug des Internets ins Wohnzimmer länger dauert als prognostiziert? Oder schlichtweg: an mangelnder Kreativität? Es ist Zeit ungeduldig zu werden.
Was aber wird passieren, wenn die Medienhäuser es geschafft haben: Wenn sie im Internet vielleicht sogar mehr Personen erreichen als offline? Dann wird womöglich schlagartig die umgekehrte Diskussion über die, ach, so schwachen Offline-Medienmarken einsetzen. Ich sehe schon die Überschrift: "Medienhäuser versetzen ihren Traditionsmedien den Todesstoß".
Doris Eichmeier, Imagecapital
Ich verstehe nicht worauf Sie hinauswollen? Ist es nun peinlich für die großen Print-Marken online zu versagen oder sollen Sie sich auf Ihr Kerngeschäft konzentrieren und das Web den Start-ups überlassen? Ich glaube: Es ist eine Scheindiskussion. In Wahrheit geht es nicht um Online oder Print. Das einzige was zählt ist Content und eine ernsthafte Kommunikation mit dem Leser.
PS. Ohne jetzt frech Werbung machen zu wollen. Hier legt Stefan Niggemeier recht klar da, warum es den großen Medienhäusern nicht gelingt im Web Quote und Qualität unter einen Hut zu bringen.
http://meedia.de/nc/details/article/internet-versuche-der-verlage-enttuschen_100012157.html
Herr Becker, Sie haben völlig recht: entscheidend sind selbstverständlich Qualität des Contents und der Kommunikation. Und dem Urteil meines sehr geschätzten Ex-Kollegen Stefan Niggemeier kann man ohnehin trauen. Aber gerade wenn es um Content und Kommunikation im Internet geht, machen viele Printitel eine schlechte Figur. Man muss sich schon fragen, warum Verlage und auch TV-Sender im letzten Jahrzehnt so wenig Gespür für dieses Medium entwickelt haben.
Da haben Sie allerdings recht. Wie ist Ihre Einschätzung: Warum haben die Verlage und TV-Sender ein so schlechtes Gespür gezeigt?
Es wird wohl ein Bündel an unterschiedlichen Aspekten schuld daran sein und das ewige Problem der Monetarisierung ist bestimmt einer der wichtigsten. Doch ein wesentlicher Grund für das mangelnde Gespür ist, und das besorgt mich als Journalistin sehr, der Umgang der Medienhäuser mit ihren Redaktionen. Seit vielen Jahren wird auf ihre Kosten gespart, gekürzt, verschlankt und fusioniert. In diesem Zustand sind Redaktionen kaum mehr in der Lage zu recherchieren, sie mutieren zu Contentmanagern, denen die Zeit für jounalistische Qualität und Kontrolle fehlt. Wie sollen derart geschröpfte Redaktionen ein herausforderndes Medium wie das Internet erschließen und es in ihre Arbeit integrieren können? Auch hierzu braucht es Muße, Kreativität und die Erlaubnis zu Online-Experimenten, die mal schief gehen können. Weil die reduzierten Redaktionen das nicht leisten können, wird Content zugekauft. Dementsprechend wenig korrespondieren dann die Online- und Offline-Ausgaben der Medienmarken. Und die Kommunikation mit den Lesern bleibt, bis auf die zahllosen Umfragen und Votings, völlig auf der Strecke. Wer hätte denn auch Zeit dazu?