In der Beziehung zwischen Kunden und Unternehmen bleibt die Menschlichkeit oft auf der Strecke. Anne M. Schüller ist der Überzeugung, dass das nicht sein muss. In ihrem neuen Buch „Touch.Point.Sieg.“ zeigt sie, warum es insbesondere in der Kommunikation nicht nur auf Big Data und Algorithmen ankommt. Die Bestsellerautorin gilt als Europas führende Expertin für Touchpoint Management, Kundenloyalität und Empfehlungsmarketing. Für den PR-Blogger habe ich mit ihr darüber gesprochen, wie Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation erfolgreich wird.
Warum ist Kommunikation in Zeiten der digitalen Transformation so wichtig?
Die Kommunikation erhält gerade ein völlig neues Gesicht. Wir reden nicht mehr nur mit anderen Menschen, sondern zunehmend auch mit künstlichen Intelligenzen. Und so, wie die unsere menschliche Sprache lernen, so müssen wir Menschen Maschinensprache lernen. Das wiederum birgt eine große Gefahr: Wo nämlich Technokraten agieren, wird sich alles um Systeme, Prozesse und Daten sowie ums Analysieren, Monitoren und Messen drehen. Die Menschlichkeit in der Kundenbeziehung bleibt dabei oft auf der Strecke. Doch Menschen sind keine Nullen und Einsen. Sie sind auch kein Klickvieh. Und sie sind ganz gewiss keine Datenpakete.
Die wahren kommunikativen Erfolge finden jenseits von Big Data und Algorithmen statt. Nicht Analytics und Mathematik, sondern Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen führen gerade in durchdigitalisierten Zeiten zum Ziel. Eine solche Kommunikation müssen Bits -und Bytes-Fanatiker erst wieder lernen. Sie zeigt der kalten Technik ein heiteres Gesicht. Und sie badet in Emotionen. So sorgt sie für Identifikation, für Loyalität und für Empfehlungsbereitschaft – und damit auch für neue Kunden.
Die Digitalisierung ist schneller als wir – woher kommt dieses schnelle Tempo?
Ja, die Digitalisierung verändert jetzt alles unfassbar schnell. Der Übergang von einer linearen zu einer exponentiellen Ära findet genau im derzeitigen Zeitfenster statt. Lineare Entwicklungen, wie wir sie kennen, zeigen sich relativ langsam, kontinuierlich und überschaubar, so dass man sich an sie anpassen kann. Jede technologische Verbesserung hingegen führt dazu, dass die nächste technologische Verbesserung schneller erreicht werden kann. Von zunehmend zunehmender Dynamik kann man da sprechen.
Folgt man dem Moore’schen Gesetz (Gordon Moore war Mitbegründer der Firma Intel), das eigentlich nur eine Faustregel ist, ergibt sich eine Verdopplung der Integrationsdichte etwa alle anderthalb bis zwei Jahre. So werden wir in den nächsten Jahren technologische Sprünge sehen, die alles Bisherige in den Schatten stellen. Es werden Dinge möglich sein, die wir aus Science Fiction-Filmen zwar kennen, die aber im wahren Leben noch gar nicht vorstellbar sind. Und sie werden nicht erst in 100 Jahren kommen, sondern in 10 oder 20.
Unternehmen müssen – neben der Digitalisierung – in einer weiteren Hinsicht immer mehr umdenken: Ihre Zielgruppe ist nicht mehr der „Homo oeconomicus“, sondern vielmehr der „Homo aestheticus“, der intensive Erlebnisse liebt und zudem keiner klassischen Customer Journey folgt. Wie zeigt sich das in der Kommunikation?
Naja, den Homo oeconomicus, der seine Entscheidungen rein vernunftmäßig trifft und selbstsüchtig nur seinem Nutzen frönt, den hat es eigentlich nie gegeben. Er ist eine traurige Erfindung weltfremder Wirtschaftsökonomen, denen es in ihren abgeschotteten Gelehrtenstuben an jeglichem gesunden Menschenverstand mangelt. Wir handeln nun mal unlogisch, vergesslich, kurzsichtig, impulsiv, so war das schon immer. Und jede Kaufentscheidung ist, selbst wenn sie unter noch so rationalen Gesichtspunkten getroffen sein mag, in Wirklichkeit von Emotionen geleitet.
Fakten sorgen zwar für Erkenntnisse und Argumente mögen überzeugen, doch erst Emotionen bringen ins Handeln. Ohne Emotionen könnten wir – wie Untersuchungen an hirngeschädigten Patienten zeigen – Entscheidungen überhaupt nicht treffen. Emotionen sind also der eigentliche Schlüssel zum Verkaufserfolg. Sie sind nicht nur in allen Entscheidungen vorhanden, sie sind sogar deren treibende Kraft. Anstatt also Customer Journeys akribisch zu planen und Umsatzziele in Quartalsvorgaben einzueisen, sollten die Manager mehr über Emotionen lernen.
Stichwort Empathie: Wie schaffen es Unternehmen, ihre Kunden zu „berühren“?
Menschen „berühren“ heißt, Emotionen zum Schwingen zu bringen und auf diese Weise ein Habenwollen zu bewirken. Was Menschen in Wirklichkeit kaufen: die Erfüllung von Hoffnungen, Sehnsüchten, Wünschen und Träumen. Zeit, Ruhe und Freiraum, so heißt der neue Luxus. Dazu gesellen sich Sicherheit, Sorglosigkeit, ein Vertrauensverhältnis ohne Enttäuschungsgefahr, Wohlbefinden, Lebensqualität und Seelenfrieden.
Bequemlichkeit, Einfachheit, Entlastung und Reduktion der Reizintensität kommen in unseren komplexen Zeiten noch hinzu, weil hierdurch der Spiegel des schädlichen Stresshormons Cortisol sinkt. Wer sich das alles kaufen kann und auch will, der schaut nicht aufs Preisschild – oder höchstens ganz nebenbei. Er ist auch länger treu. Und er wird seine positiven Erfahrungen weitererzählen. Je emotionaler, desto viraler, so lautet die Regel. Der #heimkommen-Spot von Edeka hat das sehr schön gezeigt.
Wie können Unternehmen reagieren, wenn Kunden in der digitalen Welt die Spielregeln des Marketings diktieren?
Fragen statt sagen, zuhören statt vollquatschen, einladen statt aufdrängen, das wäre schon mal ein Start. Marken wachsen nämlich nicht durch Ausdehnung, sondern vor allem durch Anziehungskraft. Eine Obsession für Kundenbelange ist dann der nächste Schritt. Heute muss man strikt vom Kunden her denken und handeln. Doch leider optimieren die Unternehmen vor allem sich selbst – aber nicht für den Kunden. Der soll sich gefälligst in die festgelegten Abläufe fügen, mit den für ihn vorbestimmten Mitarbeitern reden und seine Angaben in die dafür vorgesehenen Formulare eingeben.
Manche Unternehmen sind richtig gut darin, Abläufe mühsam zu machen, ihren Kunden Zeit zu stehlen und ihnen ein schlechtes Gefühl zu geben. Früher haben die Kunden das murrend ertragen. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Vor allem die junge Kundengeneration wartet nicht ab, bis Unternehmen zäh in die Pötte kommen. Sie haben es satt, wenn Kostensparwahn in schlechten Service umgemünzt wird. Sie werden auch nicht mehr Bittsteller sein. Wenn es klemmt, ziehen sie schleunigst von dannen. Und im Web erzählen sie gnadenlos allen, warum das so ist.
Wie wichtig ist dabei die Abschaffung des Silodenkens?
Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Während nämlich draußen Online und Offline verschmelzen und alles sich mit allem vernetzt, arbeitet man drinnen in den Unternehmen – als wäre die Zeit stehengeblieben – noch immer mit Strukturen aus dem letzten Jahrhundert. Klassische Siloformationen, Insellösungen, Abteilungsegoismen und starre Businesspläne sind mit einer zukunftsfähigen Kundenzentrierung nicht kompatibel.
Wer die Zukunft erreichen will, muss zunächst die innerbetriebliche Infrastruktur wandeln. Dazu ist vor allem eine Transformation in einen agileren Zustand vonnöten. Das bedeutet: Alles, was eine Organisation langsam macht, muss weg. Und alles, was sie schnell macht, muss her. Konnektiv und kollaborativ sind weitere Schritte zum Ziel.
Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Wer seine Kunden nicht kennt, …
… und sich nicht auf sie einstellen kann, der wird den Wettlauf um die Zukunft verlieren.
Bildquellen: Anne M. Schüller, Shutterstock