Mit PR, Marketing und Unternehmenskommunikation kennt sich Petra Sammer aus. Immerhin berät sie seit 20 Jahren Unternehmen in diesem Gebiet. Dabei hat sie auch das Storytelling für sich entdeckt. Seit einigen Monaten ist ihr lesenswertes Buch „Storytelling: Die Zukunft von PR und Marketing“ auf dem Markt. In der „Content-Revolution“ gehen wir auch auf das Thema Storytelling ein und haben dazu die Chief Creative Officer von Ketchum Pleon interviewt. Im PR-Blogger gibt es hiermit die vollständige Fassung des Interviews. Damit nehmen wir außerdem an der Blogparade State of Storytelling 2014 von Ed Wohlfahrt teil.
Mit Storytelling beschäftigst Du Dich schon lange, wie fing es an?
Was heißt für Dich Storytelling?
Zum Beispiel: gute Geschichten haben eine zentrale Hauptfigur, einen Helden. In der Regel spricht die PR aber allgemein über „Zielgruppen“ und greift nicht exemplarisch eine einzelne Person oder ein einzelnes Schicksal heraus. Oder noch ein anderes Beispiel: Jede gute Geschichte beginnt mit einem Konflikt. Wir sehen uns in einem guten Kinofilm 100 Minuten einen spannenden Konflikt an. Und erst am Ende kommt eine überraschende Lösung. Wir sehen uns auf keinen Fall 100 Minuten Lösung an. Das ist langweilig. Oft arbeitet aber Public Relations genau so: sie stellt die Lösung zentral in den Mittelpunkt der Kommunikation. Das mag für viele Kommunikationsaufgaben richtig sein, ist aber kein Storytelling, wie ich es verstehe.
Warum merken wir uns so gerne Geschichten?
Drei Gründe will ich hier nennen, obwohl es viele mehr gibt, aber das würde zu weit führen. Wer Interesse hat, kann dazu in meinem Buch „Storytelling“ weiterlesen:
- Geschichten binden Informationen, Fakten und Daten in einen logischen Zusammenhang. Das hilft beim merken.
- Geschichten lösen Empathie beim Zuhörer aus, d.h. wir reagieren emotional und ankern damit Informationen zusammen mit einer Emotion. Dieses Konzept ist wesentlich stärker als neutrale Information
- Geschichten umgehen Reaktanz. Wenn man jemanden ausschließlich mit Daten und Fakten konfrontiert, so spricht man das systematische Denken beim Zuhörer an. Und in der Regel antwortet der Zuhörer dann auch systematisch. D.h. wenn er den Zahlen misstraut, wird der Zuhörer sofort analytisch denkend hinterfragen und sich Gegenargumente überlegen. Eine Geschichte hingegen lädt zunächst emotional in die Erzählwelt ein. Wir sind beim Zuhören so mit der Geschichte beschäftigt, dass sich unser analytisches Denken parallel zum Erzählfluss nur schwer aufrechterhalten lässt. Daher kommt es zunächst beim Zuhören von Geschichten zu weniger Reaktanz als beim Aufzählen sachlicher Fakten. Geschichten wirken ganz schön fies.
Inwiefern gehören gute Werbung und Storytelling für Dich zusammen?
Zunächst einmal gar nicht. Storytelling hat viel mit Literatur und Scriptwriting zu tun. Werbung unterstützt Abverkauf von Produkten. Man kann beides kombinieren, muss man aber nicht.
Warum braucht Werbung das Storytelling?
Ich kann nicht für klassisches Advertising sprechen, da gibt es Profis. In Public Relations kann ich aber sagen, dass wir Storytelling dringend brauchen. Die Agentur, in der ich vor über 20 Jahren angefangen habe, hat die Kiwi in Deutschland eingeführt. Man ist zu den Food-Journalisten gegangen und hat erklärt, dass man das kleine, pelzige Ding essen kann. Doch die Zeiten, in denen wir Produkte erklären mussten, sind weitgehend vorüber. Wann war denn das letzte Mal, dass ein neues Produkt wirklich zu präsentieren war, mit Ausnahme der Apple-Produkte wie ipod, iphone, ipad. Aber das ist auch schon eine Weile her.
Darüberhinaus sind die Kommunikationskanäle derzeit so voll mit Information und die Geschwindigkeit, mit der wir kommunizieren „at speed“, dass Fakten und Daten einfach nur noch durchrauschen. Daher ist für die PR das Thema sehr relevant, denn Geschichten schaffen es noch durchzudringen und vor allem: Geschwindigkeit rauszunehmen. Denn eine gute Geschichte erhöht die Verweildauer. Das ist meiner Meinung auch mit eine Grund, warum Google sehr clever auf Storytelling setzt und uns damit wunderbare Geschichten schenkt.
Wie geht denn Storytelling in der PR überhaupt?
Stories sind keine Pressemitteilung. Das Format der Pressmitteilung hat sicher noch seine Berechtigung sachlich zu informieren. Aber parallel zu diesem „Informations-Service“ für Journalisten anbieten, müssen wir unseren Kunden helfen, ihre Geschichten auf den eigenen Kanälen zu erzählen. Die Aufgabe der PR ist es, in der Öffentlichkeit und unter der relevanten Zielgruppe eine echte, authentische Konversation anzuregen und dafür setzt PR Storytelling im PESO-Mix (Paid, Earned, Shared, Owned) ein. Storytelling hilft, um bei Journalisten und andere Meinungsbildner Aufmerksamkeit zu wecken („Earned“ Media). Storytelling kommt in den eigenen Kanälen, „Owned Media“ zur Anwendung, um Earned Media zu unterstützen. Shared und Paid-Media wird ebenso genutzt, um Konversation einzuleiten und anzutreiben.
Gibt es für Dich einen Unterschied zwischen Storytelling im Content-Marketing und in der Werbung?
Diese vielen Buzzwords verwirren mich. Aus meiner Sicht müssen Unternehmen selbstverständlich weiterhin ihre Produkte und Dienstleistungen vermarkten. Es kann nicht alles „Storytelling“ sein, denn dann wird es beliebig. Der Gedanke, dass man sein Unternehmen oder seine Marke parallel auch über gute Inhalte vermarktet, gefällt mir ganz ausgezeichnet.
Welche guten Beispiele für Storytelling in der Werbung kannst Du empfehlen?
In der Werbung: Am besten einfach die Cannes Lions in der Kategorie „Film“ ansehen. Und auch für Public Relations kann ich hier sehr auf die PR Lions verweisen. Da ich dieses Jahr in Cannes in der Jury saß, kann ich das sehr empfehlen, denn wir haben in diesem Jahr besonders viele Storytelling-Konzepte ausgezeichnet. Und der Grand Prix Gewinner, „Scarcrow“ von der Fastfood-Kette Chipotle, ist das beste Beispiel dafür. Die Story ist wunderschön gemacht und einfach sehenswert.
https://www.youtube.com/watch?v=lUtnas5ScSE
In der PR haben wir dabei nicht die Machart des Films ausgezeichnet und auch nicht das Spiel und die App. Die übrigens herausragend und großartig sind. Kinder lieben dieses Spiel. Die PR Jury hat sich sehr an die Definition von PR gehalten und anerkannt, dass es diese Geschichte geschafft hat, eine Konversation in den USA über Fastfood, Lebensmittelanbau und Umgang mit Lebensmitteln anzuregen. Und dahinter steckt dann auch eine Menge PR-Arbeit.
Bildquellen: Petra Sammer, O’Reilly, Shutterstock
Wohltuend zu lesen dieses Interview! Wenn ich mit anderen PR-Treibenden spreche, passiert es mir oft, dass sie mit dem hier erwähnten umgangsprachlichen Storytelling-Begriff argumentieren und das Thema abtun. „Hatten wir doch schon immer“.
Der Umgang mit Konflikten ist eine Sache, der die Unternehmenskommunikation mitunter auf eine harte Probe stellt. Wollen wir Geschichten erzählen, in denen immer wir selbst oder unsere Produkte toll rüberkommen, oder sind wir willens, zu fokussieren, herauszugreifen und wirklich Geschichten zu entwickeln und zu erzählen. Daran scheiden sich oft die Geister.
Auch wunderschön finde ich den Aspekt, dass wir mit Geschichten Zeit rausnehmen können. Jetzt gar nicht auf das Thema Verweildauer oder Aufmerksamkeit (damit wir noch mehr kaufen…) umgelegt! Geschichten können so gesehen auch „heilen“, was ich aber wiederum nicht esoterisch verstanden haben will. Wenn uns Geschichten dabei helfen, besser zu verstehen oder gar in den Moment zu kommen, dann machen sie meiner Meinung nach großen Sinn, sowohl für die Absender (Unternehmen) wie auch für uns selbst, als Zuhörer.
Hier noch ein tolles Beispiel zum Thema Storytelling. Die Weihnachtsgeschichte. Mehr dazu hier: http://www.haltungsturnen.de/2014/12/zukunft-kirche-gottesdienst.html