Ein Zuviel an Daten ist heute die Norm. Zahlenautismus ist eine bedrohliche Folgegefahr. „Es wird immer leichter, an Informationen zu gelangen, aber es wird immer schwieriger, in der wachsenden Flut der Informationen sicher zu navigieren“, schreibt Axel Gloger in seinem Buch Über_Morgen.
Auch Trendforscher Peter Wippermann warnt: „Big Data ist nicht nur eine technologische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Denn Daten sind noch kein Wissen. Erst wenn die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Verknüpfungen installiert werden, entstehen aus Daten vorteilhafte Erkenntnisse.“
Big Data erfordert mithin nicht nur ein Heer an Servern, sondern vor allem „Big Brain“, also eine intelligente Herangehensweise. Wissen aus Daten hat nichts mit einer reinen Anhäufung von Informationen zu tun, sondern mit der Fähigkeit, Informationen sinnvoll umzuwandeln und klug anzuwenden.
Chancen warten nicht auf Budgetierungstermine
Oft genug wird jedoch übersehen, dass das eigentlich Wichtige nicht in Zahlenkolonnen passiert, sondern an den Touchpoints zwischen Mitarbeitern, Unternehmen und Kunden. Weil es aber inzwischen so leicht möglich ist, aus der ganzen Datenflut immer neue Einsichten zu aggregieren, wird dies auch fleißig gemacht.
Die Krux dabei: Zahlen sagen niemals die Wahrheit. Erstens sind die Ergebnisse immer nur so gut wie das Ausgangsmaterial. Und zweitens sind sie immer das Resultat von Zielen, Interessen und Motivationen. Ergo: Die Zahl unterm Strich, die der CEO am Ende verlangt, und die nach Möglichkeit zweistellig sein soll, ist garantiert falsch.
Natürlich sind Kennzahlen wichtig. Und Messbarkeit hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch die Zahlenhörigkeit vieler Führungsgremien ist geradezu abstrus. Oft genug wird ganz fanatisch das Falsche getan, Hauptsache, es kann gemessen werden.
Dem Kennzahlenjoch kann niemand entkommen
Nicht nur die Marketingleute sind von der Zahlenseuche befallen, vor dem Kennziffernjoch ist niemand gefeit. Selbst die Mitarbeiterperformance wird nun über Dashboards und Cockpits gesteuert, so als ob Menschen Maschinen wären, bei denen man die Anzahl der Umdrehungen misst.
Reportings und Budgetierungsverfahren, durch die ab September die halbe Firma in Lähmung verfällt, fressen jetzt noch mehr Ressourcen. Bisweilen kommt mir das wie ein Beschäftigungsprogramm für Sozialanalphabeten vor. Denn solange man mit Zahlenklauberei zugange ist, muss man sich nicht mit den Menschen befassen.
Die Hälfte aller Managementkosten könnte eingespart werden
Wenn man die Computer schon rechnen lässt, dann doch bitte auch einmal dies: der Budgetprozess und die ganze Kontrolle, welchen Return on Investment (ROI) bringt eigentlich das?
Und die Opportunitätskosten, also all die Aufmerksamkeit, die man den Mitarbeitern und Kunden nicht schenken kann, während man in der Welt der Daten versinkt, wie hoch sind eigentlich die?
Schließlich kann man auch die ganz große Frage mal stellen: Wenn das Management ein Drittel aller Kosten im Unternehmen verursacht, sich mindestens fünfzig Prozent seiner Zeit mit sich selbst beschäftigt und vor allem Bürokratie produziert, auf wie viel summiert sich denn dies?
Während die alten Unternehmen noch rechnen …
Ja, die heranrückende Generation der Digital Natives hat längst verstanden, dass Administration und Prozesssucht nur hinderlich sind. Aus vernetzten Start-up-Schmieden und von wagemutigen Jungunternehmern kommen unkonventionelle Ideen, die die Welt mit Karacho verändern.
Gegen ihr schlankes, flottes, regelloses Vorgehen und ihre disruptiven Innovationen (Clayton M. Christensen) haben die aufgeblähten Old-School-Apparatschiks mit ihren gediegenen Expertenrunden nicht den Hauch einer Chance.
Zahlenfixiertheit öffnet die Schleusen für Lug und Trug
Schauen wir auch mal auf die Zeitverschwendung, die aus der Präsenzpflicht beim Zahlenbegaffen erwächst. Auf Sitzungen und Konferenzen entrollt sich das immer gleiche Ritual: Als Erstes präsentiert die Geschäftsleitung Ergebnisziffern – auf Folien, die ab der dritten Reihe niemand mehr lesen kann.
Egal! Sich mit sich selbst beschäftigen steht auf dem Programm. Im wahrsten Sinne des Wortes. Während nämlich vorne einer mit der Leinwand spricht, wird im Publikum fleißig mit Handys hantiert.
Werden dann die Budgets für die Zukunft verkündet, überlegt sich jeder vor allem, welche (schmutzigen) Tricks wieder mal nötig sind, um die Planzahlen zu sichern. Und jeden Freitag ist dann Märchenstunde. Der Wochenbericht muss geschrieben werden. Am Ende honorieren die Unternehmen nicht maximale Machbarkeiten, sondern List, Lug und Trug.
Die größten Chancen liegen meist jenseits der Pläne
Planungssicherheit ist ein Widerspruch in sich. Heutzutage können „Schwarze Schwäne“ (Nassim Nicholas Taleb), also höchst unwahrscheinliche Ereignisse, an jeder Ecke lauern.
Dafür sollten Wenn-dann-Szenarien, flexible Ziele und Optionen für verschiedene Zukünfte auf Abruf in der Schublade liegen. Denn „Schwarze Schwäne“ warten nicht auf Budgetierungstermine. Und „Weiße Schwäne“ schon gar nicht. Ergo: Manager sollten besser den Kunden hinterherlaufen, statt ihrem Plan.
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