Udo, was ist das Besondere an Content für Online-Shops? Welche Unterschiede gibt es zu Inhalten einer Website?
Udo Butschinek: Ein wesentlicher Unterschied ist, dass die Verkaufsabsicht nirgends so glasklar sein muss wie in einem Online-Shop. Und nirgends kann schlechter Content so messbar fatale Folgen haben wie hier. Bereits kleine Fehler können dazu führen, dass sich die Konversionsrate verschlechtert. Jakob Nielsen, der Papst der Usability, führte 2011 eine Studie durch. Ergebnis: Wenn Käufer scheiterten, war in 55% der Fälle mangelhafter Content die Ursache. Nielsen hat das markig zu “Bad Content Kills Sales” zusammengefasst
Zudem predigt Nielsen seit vielen Jahren, dass die Bilder in einem Online-Shop möglichst groß sein müssen. Denn im Gegensatz zum Einkauf im lokalen Geschäft kann ich das Produkt nicht anfassen oder daran riechen. Die Zahl der ansprechbaren Sinne ist also extrem beschränkt – es gibt nur visuell und auditiv. Folglich muss der visuelle Content – und dazu zähle ich auch Text – so beschaffen sein, dass er die anderen Sinne bestmöglich ersetzen kann.
Ein anderer Unterschied ist, dass das Content-Management eines Shops im Gegensatz zu einer normalen Website komplexer ist. Denn Shop-Content kommt häufig aus unterschiedlichen Quellen und unterliegt dabei unterschiedlichen Erzeugungsregeln. So stammen die Produktdaten normalerweise aus der Warenwirtschaft, ebenso wie Preise und Preislisten. Mancher Content unterliegt dabei einem Regelset, das bedeutet: unterschiedliche Nutzer bekommen unterschiedlichen Content angezeigt, und seien es nur Unterschiede in Preisen oder Rabattstaffeln.
Auch die Produktbilder stammen aus der Warenwirtschaft, vom Fotografen oder im „Worst Case“ von einem Standard-Content-Lieferanten. Weitere Shop-Inhalte kommen aus PDF-Materialien, die irgendwo im Unternehmen liegen. Zusätzliche Inhalte werden direkt im Shop-System oder, falls vorhanden, im Web-CMS eingegeben.
Jeder Online-Shop basiert ja auf einem Shop-System – sind diese denn auch „content-tauglich“? Kann man mit diesen nicht nur Produkte, sondern auch ausführliche, kreative Inhalte präsentieren?
Udo Butschinek: Leider nein. Die meisten mir bekannten Shop-Systeme können – strukturell betrachtet – lediglich hoch spezialisierten Content abbilden, also Kategorien, Produkte mit Bildern, einem Langtext, einem Kurztext und so weiter. Aber ein einfacher Wunsch wie „Ich möchte neben das Produkt ein Bild mit Text einfügen” ist schon eine echte Herausforderung. Manche Shop-Hersteller behaupten zwar, sie hätten “Content-Management-Funktionalitäten”, meinen damit aber nur einen Wysiwyg-Editor, um Schriften kursiv und fett darstellen zu lassen. Das hat aber mit Content-Management nichts zu tun.
In den meisten Shop-Systemen ist man in feste Strukturen „einbetoniert“, deshalb sehen alle Online-Shops irgendwie gleich aus: Kategorien, Unterkategorien, Produktauflistung, Detailansicht, Warenkorb, Bestellstrecke. Im Grunde sind Shop-Systeme noch auf dem Stand wie vor 20 Jahren. Der Checkout-Prozess, wie wir ihn heute kennen, wurde schon 1994 von Intershop auf der CeBit präsentiert. Seitdem ist kaum etwas passiert.
Weil die Systembetreiber mittlerweile bemerken, dass es ein Problem mit der Content-Verwaltung gibt, setzen sie auf “PIM” – Product Information Management, das aber sehr starr ist und den Publikationsanforderungen der unterschiedlichen Medienarten nicht gerecht wird. Wenn man mich fragt, brauchen Shop-Betreiber kein PIM, sondern „echtes“ Content-Management. Hier halte ich das flexible und übergreifende Content-Modell von Contentful für zukunftsweisend, weil mit ihm Inhalte medienvariabel veröffentlicht werden können.
Ein großer Shop braucht massenweise standardisierten Content, der zuverlässig alle Produktinfos aktuell auf den Punkt bringt. Wie gelingt einem Shop eine solche riesige Aufgabe?
Udo Butschinek: In der Regel wird dies über eine Schnittstelle zur Warenwirtschaft des Shop-Betreibers realisiert. Produktinhalte werden in der Warenwirtschaft gepflegt und automatisiert in den Online-Shop übertragen. Ich habe aber meine Zweifel, ob das immer der richtige Weg ist. Ich kenne den Fall eines großen Deutschen Retailers, in dessen „Wawi“ über die Zeit alle möglichen Leute irgendwas eingetragen haben. Und so liest sich das dann auch.
Als Händler sollte man sich die Frage zu stellen, ob die Menschen, die bei mir online einkaufen, andere Produktbeschreibungen und -bilder brauchen als Großhändler oder Adressaten eines Print-Katalogs.
Was sind typische Content-Fehler von Online-Shops?
Udo Butschinek: Da gibt es eine ganze Menge. Etwa unzureichende Produktbeschreibungen und das ausschließliche Schildern der Features statt der Nutzungsvorteile. Es wird auch gerne empfohlen, möglichst viele Produktinformationen zu geben. Ich sehe das differenzierter: Man muss vielmehr jene Informationen bieten, die eine Zielgruppe braucht, um eine Entscheidung treffen zu können.
Echte Konversionskiller sind auch komplizierte Bestellprozesse und die “Featuritis”, also technische Spielereien, die keinen informativen Mehrwert bieten. Dazu kommt der Fehler schlechten Fullfilments, denn die Customer Experience muss vom ersten Kontaktpunkt im Online-Shop bis zur Auslieferung gleichbleibend gut sein.
Wenn ein Lieferant die Waschmaschine auf den Bordstein stellt, sich mit dem Handrücken die Nase wischt, mit der gleichen Hand den Kugelschreiber reicht, dem Kunden “Unterschreiben!” zubellt und ihn dann mit der Ware und dem Verpackungsmüll alleine lässt, kann auch der beste Shop-Content nichts rausreissen.
Welche Dienstleister würden sich unterstützend eignen? Eine IT-Firma? Eine Agentur? Ein Content-Stratege?
Udo Butschinek: Es kommt darauf an. Wenn man das Standardverfahren anwendet, nämlich Import von Produktdaten in den Online-Shop, dann ist eine IT-Firma genau das Richtige. Wenn es darum geht, Workflows zu optimieren, die Zielgruppe und deren Bedürfnisse kennen zu lernen, den Content unternehmensübergreifend zu strukturieren und in einem einheitlichen System zu verwalten, dann eignet sich wohl eher ein Content-Stratege oder eine Agentur oder eine Kombination. Größere Unternehmen können das – entsprechendes Know-how vorausgesetzt – gewiss auch selber realisieren.
Woran erkennt man einen Online-Shop, der eine Content-Strategie hat?
Udo Butschinek: An einer starken Fokussierung auf die Bedürfnisse und Probleme einer eng eingegrenzten Zielgruppe. Mein Lieblingsbeispiel ist bodybuilding.com, schon der Domain-Name verrät, worum es geht. Das ist eine Art Bodybuilding-Magazin mit integriertem Online-Shop, der seine Kunden mit kostenfreien Trainingsplänen und Ernährungstipps versorgt. Er bietet Interviews mit Stars der Szene und jede Menge anderen kostenfreien Content. Und, fast schon nebenbei, kann man die entsprechenden Nahrungsergänzungen kaufen. Was ich als regelmäßiger Besucher der Seite natürlich machen würde, da ich denen aufgrund des professionellen Content-Angebots ja vertraue.
Wie wichtig ist Storytelling für Online-Shops?
Udo Butschinek: Storytelling hat im E-Commerce ein riesiges Potenzial, aber es gibt dazu noch zu wenig fundiertes Wissen. Gerne zitiert wird das “Significant Objects Project” von Joshua Glenn und Rob Walker. Die beiden untersuchten, wie stark Storytelling den Kaufpreis der Produkte heben kann – und verkauften zum Beispiel auf diese Weise ein Produkt, das nur 1,25 US-Dollar wert war, für 8.000 US-Dollar. Von solchen Erfolgsgeschichten träumt jeder Shop-Betreiber. Allerdings lief das Projekt nicht unter strengen wissenschaftlichen Bedingungen ab.
Ein Kollege aus Österreich, Rainer Neuwirth, untersuchte die Wirkung des Storytelling im E-Commerce unter wissenschaftlich strengen Bedingungen. Er beobachtete eine stärkere Emotionalisierung der Kunden sowie eine Verdoppelung der Konversionsrate. Wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Konversionsrate eines deutschen Online-Shops bei drei Prozent oder darunter liegt, besitzt Storytelling ein enormes wirtschaftliches Potenzial.
Kennst Du gelungene Storytelling-Beispiele?
Udo Butschinek: Man kann fast jeden Text von Manufactum.de nehmen. Wenn die lang und breit erzählen, wie genau ein Apfelmus hergestellt wird und es beschreiben wie einen Wein, möchte man das Apfelmus am liebsten direkt vom Bildschirm lecken. Das ist brillantes Storytelling.
Eine gelungene Problemlösungsgeschichte bietet Belroy. Hier wird auf lineare Weise gezeigt, wie ihre Geldbörse ein altbekanntes Problem löst: dass sie in keine Hosentasche mehr passt. Am Ende der witzigen Story angekommen, möchte man die Belroy-Börse sofort kaufen.
Eine Studie der Unternehmensberatung Xerfi-Precepta ergab, dass es spätestens 2017 für viele Online-Shops eng wird. Können sich Online-Shops mithilfe von Content-Strategien für diese Krise wappnen?
Udo Butschinek: Ob ein Online-Shop langfristig Bestand hat, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: vom Geschäftsmodell und ob er seine Zielgruppe erreicht. Im E-Commerce stecken die Chancen vor allem in dem, was Chris Anderson als “The Long Tail” bezeichnet hat.
Wenn man ein tragfähiges Geschäftsmodell hat, ist Content letzten Endes der entscheidende Faktor. Es geht um die Frage, welche Bedürfnisse und Fragen die Zielgruppe hat, wie sie “tickt” und ob ich als Shop-Betreiber ihre Fragen beantworten kann.
Zum Beispiel: Ich bin leidenschaftlicher Träger von Barfußschuhen. Diese werden nach vorne breiter, wie der Fuß auch. Wenn ich mir Bilder von Nicht-Barfußschuhen anschaue, erwarte ich eine Draufsicht auf den Schuh, damit ich erkennen kann, ob er vorne spitzer oder breiter wird. Wenn der Shop diese Frage nicht beantwortet, kaufe ich nicht.
Es geht im E-Commerce um die besondere Positionierung, um die Differenzierung von der Konkurrenz. Das kann man mit schlechten, nicht durchdachten Inhalten nicht leisten. Wer also einen erfolgreichen Online-Shop haben will, über den man spricht, braucht zielgruppengerechte und qualitativ hochwertige Inhalte. Punkt.
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