Nicht nur unsere Kommunikation findet digital und im Social Web statt. Auch im Vertrieb setzt sich Social Selling immer weiter durch. Was steckt dahinter? Wir kennen alle die übergriffige Ansprache auf LinkedIn, bei der uns jemand nach einer Kontaktanfrage direkt etwas verkaufen will. Mit Social Selling hat das nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.
Definition: Das ist Social Selling
Der Begriff stammt aus dem vertrieblichen Bereich und steht für den Aufbau von relevanten Beziehungen zu potenziellen Kunden. Dieser Prozess kann offline stattfinden. Es ist aber eigentlich ein Tool für den Online-Vertrieb. Die Social-Media-Plattformen, die dafür am häufigsten genutzt werden, sind Facebook, LinkedIn, Pinterest, Twitter und in der DACH-Region Xing.
Beim Social Selling muss man selbst aktiv werden: Es gilt den direkten Kontakt zu seiner Zielgruppe zu suchen und zu festigen. Dabei können Kommentare unter relevanten Beiträgen helfen, aber auch das Teilen von Nachrichten oder die Nennung der jeweiligen Person können nützlich sein. Denn das Ziel von Social Selling ist es, Leads zu generieren und Customer Relationship Management aktiv voranzutreiben.
Social Selling kann nicht mit Social-Media-Marketing gleichgesetzt werden, denn
- die Aufgabe von Social-Media-Marketing ist, mit den Botschaften eines Unternehmens oder einer Marke möglichst viele Nutzer zu erreichen und dabei möglichst große Reichweiten zu generieren.
- Social Selling ist die Aufgabe des Vertriebs – nicht des Marketings. Die Beziehung, die der Vertriebler hier zum potenziellen Kunden aufbaut, ist unaufdringlich. Es wird auf Augenhöhe und aufrichtig mit der Zielgruppe kommuniziert.
Was halten Experten von dem Begriff „Social Selling“?
In der Praxis wird alles, was wir in der Theorie unter Social Selling verstehen, oft gar nicht als solches wahrgenommen. Wir haben beim Bundesverband der Vertriebsmanager e.V. nachgefragt, wie die Vertriebsexperten zu Social Selling stehen.
Markus Härlin, Head of Inhouse Sales Consulting bei Hays und Leiter der Expertenkommission „Social Selling“ beim Bundesverband der Vertriebsmanager e.V.
„Ich bin mit dem Begriff „Social Selling“ vertraut, verwende ihn auch, bin jedoch nicht glücklich damit! „Social Selling“ suggeriert nämlich, dass es sich bei Xing und LinkedIn um eine neue Plattform für (Kalt)Akquise handelt. Aber dem ist nicht so! Social Selling beschriebt den Auf- und Ausbau eines Netzwerkes zum Zwecke der späteren Monetarisierung! In der Funnel- oder Customer Journey-Denke sind wir hier ganz oben („TOFU“: Top of Funnel) oder ganz am Anfang. Es geht darum, sich den Status eines Experten oder Though Leaders (gefällt mir besser als „Influencer“) durch das regelmäßige Posten von Content und durch das regelmäßige Engagement mit anderen Mitgliedern zu erarbeiten. Es geht also um das Stiften von Mehrwert und/oder den Aufbau von Beziehungen. Technologie macht diesen Aufbau leichter, effizienter und skalierbarer, als es die Telefonakquise je war: wenn man es richtig macht! Das Ziel ist Conversion, also aus Likes und Engagement Leads zu machen. Ab da wechselt dann auch das Medium: Auf die eigene Website, Plattform – oder zum Telefon. Social Media ist nichts weiter als ein neues, aber sehr mächtiges Werkzeug in der Buyers Journey!“
Carsten Germer, Regional Manager/Product Specialist bei TRACOE medical GmbH
„Den Begriff „Social Selling“ nutzen wir als solchen im Alltagsbusiness nicht. Weil keiner so genau sagen kann, was es alles beinhaltet. Wir reden von online Anwendungen, von LinkedIn oder Facebook, E-Learning, uva. Social Selling als Einzelposition gibt es nicht. Es ist integrierter Bestandteil des kompletten Verkaufsprozesses. Daher ist es auch schwer explizit zu sagen, welche Umsätze oder Kunden man durch Social Selling generiert.“
Pier Paolo Perrone, selbstständiger Berater für Business Development, HR Tech und Leadership
„Der Begriff des Social Selling hat sich seit seinen Anfängen meiner Wahrnehmung nach immer weiterverbreitet, das stimmt. Ich sehe – wie viele andere hier in der Community auch – Social Selling jedoch nicht als „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Verkäufer, die in Zeiten der Coronakrise in der Art eines „Sales-Rambo“ über XING oder LinkedIn bei einem Ansprechpartner mit der Tür ins Haus fallen und in der 1. oder spätestens 2. persönlichen Nachricht ein unwiderstehliches Angebot unterbreiten (im Zweifel 1kg Bitcoin) beeinträchtigen die Akzeptanz dieser Form des Vertriebs. Ziel eines erfolgreich betriebenen Social Selling sollte der Aufbau von Beziehungen sein und strategisch eingesetztes Social Listening führt dazu, dass der Verkäufer genau im richtigen Moment in eine Konversation einsteigen und sich als Lösung für ein aktuelles Problem anbieten kann. Meine Erfahrung: Das bringt garantiert mehr als ein Auftritt als weiterer Störfaktor, dessen Meldungen man ohnehin nur wegwischt und löscht. Wenn der heutige Homo oeconomicus als Homo connectus angesehen wird, ist Social Selling nicht mehr und nicht weniger als ein kundenzentrierter Ansatz für den ‚Connected Customer‘.“
Die vier Grundelemente des Social Sellings
Beziehungen sind beim Social Selling leichter aufzubauen, da Unternehmen mit Nutzern in einem (sozialen) Netzwerk Kontakt zueinander aufnehmen. Damit dieser Ansatz funktioniert und Leads generiert werden können, sollten folgende vier Aspekte berücksichtigt werden:
Ein professionelles Branding – Mit der Hilfe einer starken Marke können sich Unternehmen als Experte in der eigenen Branche positionieren. Dadurch verbessern sie ihre Chancen, Anfragen von potenziellen Kunden zu erhalten.
Potenzielle Kunden gewinnen – Soziale Netzwerke sollten dahingehend überprüft werden, ob sich dort relevante Kunden befinden, die sich für den Kauf des Produktes oder Dienstleistung interessieren, oder sich Nutzer finden, die im Rahmen der Leadgenerierung zu Käufern verwandelt werden können.
Den Kunden in den Mittelpunkt stellen – Wer seine eigene Zielgruppe kennt, kann leichter mit dieser in Kontakt treten und den Kontakt leichter langfristig pflegen. Dafür müssen Engagement-Rate und die Leadgenerierung stetig optimiert werden.
Ohne Customer Relationship Management geht es nicht – Die vertrauensvolle Beziehung, die zum Kunden aufgebaut wurde, muss beibehalten werden. User Generated Content mit Bezug zum Unternehmen zu teilen, das Feedback der eigenen Zielgruppe ernst zu nehmen und darauf zu antworten kann hier hilfreich sein. Bei CRM stehen die Bedürfnisse des Käufers im Vordergrund – der aktive Verkauf an zweiter Stelle.
Die Vorteile von Social Selling
Dank des Social Web gibt es heutzutage weitaus einfachere Weg, um mit Interessenten und Kunden in Kontakt zu treten. Dieser Umstand hat aber nicht nur für Unternehmen und Vertriebler Vorteile, sondern auch für die Interessenten:
- Der Vertrieb kann den potenziellen Kunden weitaus schneller identifizieren, einfacher online mit ihm/ihr in Kontakt treten und eine Beziehung aufbauen.
- Nutzer und Interessenten nutzen die Möglichkeiten, um Hilfe und Input für ihre Kaufentscheidung zu finden. Die Beziehung zu einer Marke oder einem Unternehmen übt Einfluss auf ihre Entscheidungsfindung aus.
Der Vertrieb kann die Bedürfnisse der Kunden leichter erkennen und die sozialen Kanäle nutzen, um Informationen zu sammeln, aber auch um diese für die Zielgruppe passend aufzubereiten und zu teilen. Der Interessent kann sich besser informieren und entscheiden, ob er ein Produkt kaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will. Zu einem Kauf kommt es erst, wenn der Interessent zum Kunden wird und dem Unternehmen vertraut.
So läuft Social Selling ab
Social Selling läuft immer in mehreren Phasen ab.
In der Pre-Sales-Phase werden Key Performance Indicator (KPI) festgelegt, die Verhaltensweisen und Bedürfnisse der Zielgruppe untersucht und analysiert.
In der anschließenden Sales-Phase werden Inhalte über Social Media geteilt, Zielgruppen identifiziert und Kontakt aufgenommen, indem mit Interessenten und Kunden interagiert wird.
Die Auswertung der Leads, die im Rahmen des Social Sellings gewonnen wurden, findet im letzten Schritt statt. Die KPI, die zuvor in der Pre-Sales-Phase festgelegt wurden, werden bewertet. Der Kontakt zum Kunden wird aufrechterhalten und gegebenenfalls optimiert.
Erfolgsmessung in der Praxis
In der Praxis wird die Erfolgsmessung von Social Selling oft als schwierig angesehen. Carsten Germer erklärt die Schwierigkeit für seine Branche, die Medizintechnik, wie folgt: „Wie will ich das bei einzelnen Ärzten nachverfolgen, weshalb sie von uns kaufen? Zum Beispiel postet hier häufig eine Ärztin aus Brasilien, ich like ihre Beiträge, schreibe was dazu, antworte darauf, sie antwortet auch. Ich weiß auch, dass ihr Krankenhaus unsere Produkte einsetzt. Aber woher soll ich jetzt genau wissen was der Auslöser war? Liegt es hier an LinkedIn? Oder daran das ich sie zwei Mal auf Kongressen gesehen habe? Oder weil ein Kollege ihr unsere Produkte empfohlen hat? Oder an unserem Händler? Oder an was auch immer? Es ist manchmal sehr schwer den Trigger zu finden, weshalb jemand kauft. Mal ganz ehrlich: Am Ende des Tages ist mir auch egal, warum und weshalb sie oder er kauft – Hauptsache die Leute KAUFEN!“
Bernd Michler, Corporate Influencer und Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der Vertriebsmanager e.V.
„Ich denke, eine Nachverfolgung wäre überhaupt nicht so schwer. Es wird einfach nicht gemacht, weil das Mindset in den Unternehmen einfach nicht vorhanden ist.“
Welche Voraussetzungen müssen für Social Selling erfüllt werden?
Damit Social Selling wirklich funktionieren kann, müssen nicht nur einige Aspekte beachtet, sondern auch einige Voraussetzungen erfüllt werden:
- Social-Media-Monitoring betreiben – nur so können Unternehmen mehr über ihre Zielgruppe, deren Bedürfnisse und Probleme erfahren. Diese Erkenntnisse sind Dreh- und Angelpunkt für alle Social-Selling-Maßnahmen.
- Passende Inhalte erstellen –Die aus dem Social-Media-Monitoring gewonnenen Erkenntnisse sollten für die Produktion von Inhalten genutzt werden. Diese beinhalten ein ganz bestimmtes Problem der Zielgruppe und wie dieses gelöst werden kann. Der tatsächliche Nutzen steht bei dieser Content-Produktion im Vordergrund.
- Social Media Know-how im Vertrieb aufbauen – Allein mit Face-to-Face-Gesprächen und per Telefon können Geschäftsbeziehungen nicht mehr aufrecht erhalten Auch über Social Media sollten Kontaktanbahnungen stattfinden – ohne ist Social Selling kaum möglich. Aus diesem Grund sollte auch das entsprechende Know-how im Vertrieb aufgebaut werden, denn Social-Media-Wissen ist hier oft Mangelware. Unternehmen sollten ihre Vertriebler für die digitale Welt entsprechend schulen.
Social Media nutzen – auch für Social Selling
Das Social Web wird nicht nur genutzt, um miteinander zu kommunizieren, es wird auch zur Recherche und als Informationsquelle genutzt. Vor allem dann, wenn man sich etwas kaufen will, konsultiert man oft diverse Websites und Blogs, um eine Kaufentscheidung zu treffen.
Diesen Umstand haben schon viele Unternehmen erkannt und nutzen das Social Web, um in mit Ihrer Zielgruppe in Kontakt zu treten und die dadurch entstehende Beziehung zu pflegen. Wer Social Selling umsetzen will, muss die Bedürfnisse und Anliegen seiner potenziellen Kunden verstehen. Wer passende Lösungen anbietet und diese in ansprechenden Content verpackt, hat bereits eine erste gute Maßnahme für sein Social Selling entwickelt. Das wichtigste aber ist, dranzubleiben und seine Kundenbeziehungen nicht im Stich zu lassen.
>> PR-Blogger: Der Vertrieb der Zukunft: Markus Härlin über Social Selling
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