Jeder Reiz, der über die Sinne unsere Hirnwindungen flutet, wird in blitzschnellen Schritten decodiert und bewertet. Dies geschieht unbewusst und vollautomatisch. Ebenso wird jedes Erlebnis emotional markiert und für weitere Zwecke im episodischen Gedächtnis abgelegt.
Immer geht es dabei um eine überlebenswichtige Grundsatzentscheidung: Vermeide Negatives, suche Positives! „Gut für mich“ (= Freund) wird mit einem angenehmen, „Schlecht für mich“ (= Feind) mit einem unangenehmen Gefühl belohnt. Dabei ist das Gehirn auf ständige Belohnungen aus. Es ist geradezu süchtig danach.
Emotionen haben Vorfahrt im Hirn
Alles Positive führt zu einem Hinwenden und Ja – alles Negative zu einem Abwenden und Nein. Sehr stark positiv oder negativ bewertete Erfahrungen erhalten dabei immer Vorrang. Und es ist leichter, einen Lustkauf rational zu begründen, als einen Vernunftkauf zu lieben. Für Kommunikation, Werbung und Verkauf bedeutet das: Der Weg von der Emotion zur Vernunft ist leicht, der Weg von der Vernunft zur Emotion hingegen schwer.
Verursacht werden diese Prozesse durch Biochemie und wie Serotonin, Dopamin, Oxytocin, Cortisol und Adrenalin. Sie sagen dem Körper, wie er in einer gegebenen Situation emotional reagieren soll und leiten entsprechende Handlungen ein.
Emotionen sind also zum Ausdruck gebrachte Gefühle. Sie machen unser Innenleben öffentlich. Sie sind meist schnell da, aber, sobald sich der jeweilige Hormonspiegel normalisiert hat, auch schnell wieder weg. Stimmungen hingegen sind meist länger anhaltend und haben eine optimistische oder pessimistische Tendenz.
Der freie Wille ist gar nicht so frei
Da uns also Biochemie maßgeblich steuert, ist der freie Wille, auf den wir uns stolz berufen, gar nicht so frei. Manchmal ist das Verhalten eines Menschen so paradox, dass er selbst nicht genau weiß, wie ihm geschieht. Denn wenn uns mächtige Gefühle übermannen, fällt Impulskontrolle schwer.
„Wie konnte ich nur so verblendet sein?“, denkt man nach einer falschen Entscheidung. „Das ist mir so rausgerutscht“, entschuldigen wir uns nach einem unpassenden Wort. „Ich konnte nicht anders, es hat mich so angelacht“, mildern wir einen unnötigen Kauf. „Was hab ich mir bloß dabei gedacht?“, fragt sich jeder, der Bockmist gebaut hat.
Treffender könnte es der Volksmund kaum formulieren. Denn für das, was hinter den mehr oder weniger verschlossenen Türen des Unterbewusstseins blitzschnell und ohne unser Zutun passiert, suchen wir erst im Nachgang nach einer Begründung, die vor uns selbst und anderen plausibel erscheint. Oder wir proklamieren überzeugungsstark, warum wir das, was wir nicht haben können, gar nicht wollen.
Wir sind unaufmerksamkeitsblind
Wir sehen nur das bewusst, was unser Gehirn will. Für das meiste um uns herum sind wir blind und taub. Hirnforscher nennen das die Unaufmerksamkeitsblindheit, laut Wikipedia die Nichtwahrnehmung von Dingen und Gegebenheiten, verursacht durch die eingeschränkte Verarbeitungskapazität des menschlichen Gehirns.
Bei einem Experiment des britischen Psychologen Richard Wisemann wurde dies besonders deutlich. Er gab einer Gruppe von Testpersonen eine Zeitung mit der Bitte, die Fotos darin zu zählen. Die meisten Versuchskaninchen brauchten dafür etwa zwei Minuten. Das Verblüffende war, dass kein Einziger die Überschrift sah, die auf der zweiten Seite in Großbuchstaben prangte:
HÖREN SIE AUF ZU ZÄHLEN – ES SIND 43 FOTOS IN DIESER ZEITUNG! Mitten in der Zeitung hatte Wiseman eine zweite riesige Überschrift platziert: HÖREN SIE AUF ZU ZÄHLEN. SAGEN SIE DEM VERSUCHSLEITER, DASS SIE DIESEN SATZ GELESEN HABEN, UND KASSIEREN SIE DAFÜR 100 PFUND! Keiner der eifrig zählenden Probanden nahm diese frohe Botschaft zur Kenntnis.
Was das für die Kommunikation bedeutet
Für jede Art von Kommunikation folgt daraus: Weniger statt mehr Stimuli bieten! Und entsprechend gilt für Onlineshops: Ordnung schaffen! Unser Hirn favorisiert anstrengungslose Informationsverarbeitung, mag es also übersichtlich, aufgeräumt und so einfach wie möglich. Und es ist ständig auf der Suche nach Risikominimierung. Positive Erfahrungen hingegen sucht es zu wiederholen.
Zudem hat es das Bestreben, Unsicherheit in Sicherheit und Fremdartiges in Vertrautes zu verwandeln. Was nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht und was nicht an Motive andockt, die ins Gleichgewicht wollen, wird vom Hirn einfach weggeblockt. Oft wiederholte oder mit intensiven Gefühlen verbundene Erfahrungen sind in unserem Hirn tief eingebrannt und finden daher besondere Beachtung.
Um eine Veränderung herbeizuführen, also beispielsweise etwas zu kaufen, ist also ein gehöriger Erregungsgrad der emotionalen Zentren vonnöten. Ein schwacher Erregungszustand bedeutet: kann, muss aber nicht. Ein starker positiver Erregungszustand hingegen heißt decodiert: unbedingt kaufen!
Was neu ist, nützlich erscheint und unser Leben verbessert, findet im Konzert der Neuronen besonderen Anklang. Altbekanntes hingegen verursacht nur noch ein leises Hintergrundrauschen. Erst dann, wenn ein Angebot uns ein richtig gutes Gefühl verspricht, uns angenehm überrascht, fasziniert, uns gut aussehen lässt oder den Kick des Besonderen verheißt, besiegt das Habenwollen die Vernunft.
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