Die Weinbranche nimmt Social Media immer ernster. Das zeigte sich am 18. und 19. Juni auf dem ersten VinoCamp Deutschlands am Campus Geisenheim. Angelehnt an das BarCamp Konzept, war es ein Ereignis, welches die oftmals als konservativ verschriene Weinszene Deutschlands, gespannt erwartet und mit großem Interesse verfolgt hat.
Ein BarCamp kann am besten als großes, organisches Brainstorming-Ereignis charakterisiert werden. Jeder Teilnehmer ist angehalten zum Thema seiner Wahl zu sprechen und den anderen Rede und Antwort zu stehen. Alle „Camper“ bestimmen die Ausgestaltung des Events, da kein starr von den Organisatoren vorgegebenes Programm existiert, sondern lediglich ein grober Rahmen. Seit dem ersten BarCamp in Palo Alto (Kalifornien) im August 2005, veranstaltet in den Räumlichkeiten von Socialtext, werden in Nordamerika, Asien und Europa BarCamps abgehalten.
Initiiert von den Galionsfiguren der deutschen Weinbloggerszene Dirk Würtz und Thomas Lippert, schaffte es das VinoCamp über hundert Teilnehmer aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenzuführen, deren einziges verbindendes Element die Weinleidenschaft ist. In der Natur der Sache liegt es, dass hier vor allem der harte Kern internetaffiner Weinbegeisterter aus Weinhandel, Weinproduktion, Marketing, PR, Forschung und Gastronomie anzutreffen war. Darunter waren neben den erwähnten Initiatoren einige weitere „Stars“ der Szene wie Master Sommelier Hendrik Thoma (tvino.de), Thomas Günther (weinverkostungen.de) und Michael Pleitgen von der Weinakademie Berlin. Doch auch interessierte Winzerinnen und Winzer, die bislang im Social Web nicht aktiv waren und von dem Ereignis aus den Printmedien erfuhren, haben die Sessions verfolgt und mitdiskutiert. Nicht zuletzt haben generische Weinmarken die taktgebende Bedeutung dieser Anti-Konferenz erkannt. Vini Portugal, Wines of South Africa, Bordeaux aber auch der deutsche VDP, der seine Aufmerksamkeit in letzter Zeit verstärkt auf die Onlinekommunikation setzt (über 4000 Follower bei Facebook), waren durch die jeweils zuständigen Mitarbeiter und PR-Agenturen vertreten und teils auch als Sponsoren der Veranstaltung aktiv.
So bunt gemischt die „Camper“ waren, so breit war auch das Spektrum angebotener Sessions. Viele behandelten onlinebezogene Themen. Thomas Günther und Stefan Schwytz sprachen über rechtliche Fallen und die Abmahnungswelle bei Winzern und Weinbloggern. Das Urgestein der deutschen Genussblogger, Theo Huesmann, gab einen Überblick über Tools und Methoden zur Trafficmessung und Statistikauswertung, während Jochen Tautges von Weinreich Rheinland-Pfalz über Wein, Tourismus und Web 2.0 referierte. Beachtung fanden auch rein weinbezogene Themen, von denen Matthias Düsis Vortrag über die rechtlichen und theologischen Grundlagen des Messweines den größten Andrang erfuhr. Eine fesselnde Diskussion über die Chancen community-gestützter Produktentwicklung in der Weinbranche nach dem Vorbild von Brewtopia war mein persönliches Highlight. Dr. Gergely Szolnoki, ein Dozenten der Hochschule Rhein-Main, stellte in einer Session zusammen mit mir das Projekt der Forschungsanstalt Geisenheim vor, innerhalb dessen der Erfolg von Social Media Kampagnen von Weinbaubetrieben gemessen werden soll.
Doch viel wichtiger als die Sessions waren die Begegnungen, die Gespräche und gemeinsame Weinproben mit Menschen, mit denen man sonst nur über soziale Netzwerke im Kontakt steht. Der lebendige und unterbrochene Austausch war erhellend, bereichernd und beflügelt die Gedanken auch eine Woche danach.
In der Weinbranche gibt es bisher kaum ein Unternehmen, das man mit gutem Gewissen als Social Business bezeichnen könnte. Jedoch zeigen Initiativen wie diese, dass auch eng gefasste Special-Interest-Bereiche ihren Weg zu zeitgemäßen Kommunikationsformen und –kanälen finden.
BarCamps sind eine Form der Zusammenkunft, die für die heutige Mit-Mach-Welt des Social Webs wie geschaffen sind. Mit ihnen schließt sich der Kreis, an dessen entgegengesetzten Punkten die virtuelle und die anfassbare Welten liegen. „Es gibt keinen Ersatz für den tiefen Blick in die Augen und noch läuft aus dem Rechner kein Wein“, meinte Dirk Würtz.
Unser Gastblogger Dimitri Taits studiert Internationale Weinwirtschaft, ist Tutor für Social Media und beschäftigt sich im Rahmen eines Forschungsprojektes mit den Effekten von Social Media Marketing für Weinbauunternehmen. Die Auswirkungen der zunehmenden Sozialisierung der Welt auf die Denkart eines jeden von uns, aber auch auf die Entwicklungsrichtung der Menschheit halten ihn täglich in Atem.
Coole Sache. Hätten wir vorher wissen müssen… auch wenn der letzte Blogpost auf http://weinkontor-castellum.de schon etwas länger her ist, bewegt uns diese Szene doch sehr.
Also dann bis zum nächsten Vinocamp!
Ja, der Termin hätte mich auch im Vorfeld interessiert. Toll – ein Bereich, die digitale Chancen nutzt.
…ein Bereich, der… natürlich.