Der Rücktritt von Schleswig-Holsteins CDU-Spitzenkandidaten Christian von Boetticher in der Lolita-Affäre hat (nicht nur) die CDU schockiert, die damit in Kiel ihren Hoffnungsträger verliert. Damit reiht er sich ein in die Geschichte der Barschel-Affäre und den seltsamen Rücktritt der Heide Simonis. Ein Reputationsskandal mehr in Schleswig-Holstein, der den Ruf der norddeutschen Politiker nicht verbessern wird.
Die Lehre aus dieser „Liebesbeziehung“ mit einer 16-Jährigen: Privatleben und Politik verträgt sich nicht immer und wird schnell von den Parteifreunden instrumentalisiert. In einigen Medien wird der CDU-Mann als „Opfer“ einer Facebook-Falle dargestellt. Als sei es von besonderer Bedeutung, dass er sie via Facebook kennengelernt hat. Niemand würde auf die absurde Idee einer Disco-Falle, Hotel-Falle kommen oder von einer Büro-Falle sprechen.
Natürlich macht Social Media es dem Einzelnen leichter, eine Beziehung im Business-Kontext oder auch privat aufzubauen. Aber von einem Rücktritt 2.0 zu sprechen, klingt weit hergeholt und bedient gleichzeitig alle Vorurteile gegenüber dem bösen Internet, in dem es angeblich einen rechtsfreien Raum gäbe. Der 40-Jährige ist zurückgetreten, weil er dem innerparteilichen Druck der Union nicht entgehen und dem bevorstehenden Wahlkampf in Schleswig-Holstein aufgrund einer zu erwartenden öffentlichen Demontage seiner persönlichen Reputation nicht hätte standhalten können.
In Social Media Zeiten wird vieles in die Öffentlichkeit gezehrt. Deshalb ist es meiner Meinung nicht verwunderlich, dass der CDU-Politiker von vielen Medien an den Pranger gestellt wird. Moralisch darf man natürlich seine Meinung dazu haben, aber was hat das mit Politik zu tun? Parteien sollten sich lieber inner- wie außerparteilich um Sachfragen bemühen und Persönliches wie Privates außen vor lassen, selbst wenn von Boetticher von Jüngeren als „Pädobär“ gesehen wird.
„Nun mögen Liebende manchmal Deppen sein und in Gefühlsdingen „unreif“, wie es in der Sprache der „Gefühlsreifen“ heißt“, heißt es im Tagesspiegel dazu. „Aber im Unterschied zu den Seehofers, Verheugens und Allens haben diese Zwei offenbar keinen Verrat begangen, kein Wort gebrochen, kein Leid verursacht“.
Einen guten Kommentar dazu liefert auch Law-Blogger Udo Vetter: „Mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind einvernehmliche Sexualkontakte gestattet, auch wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Das ist genau die Regelung, die nun dem CDU-Politiker Christian von Boetticher zu Gute kommt. Über 16-Jährige hält das Strafgesetzbuch grundsätzlich für in der Lage, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ohne Einschränkung wahrzunehmen.“
Seine charakterliche Eignung wird dennoch aufgrund moralischer Vorbehalte in Frage gestellt. Zumindest wäre eine „glaubwürdige Karriere als wertkonservativer Landesvater“ (Zeit) nicht mehr vorstellbar und seinen konservativen Wählern kaum zumutbar gewesen. Er passt nicht zum Rollenbild und musste deshalb weichen. Dennoch hat das mit Social Media und Facebook rein gar nichts zu tun, selbst wenn einige Parteifreunde schon vorher mit Unverständnis auf seine Facebook-Statusupdates geblickt haben dürften. Am Sonntagabend hat der CDU-Mann seine Facebook-Fanpage mit rund 800 Kontakten aus dem Netz genommen. „Ein echter Rücktritt 2.0 also“, heißt es auf Meedia.
Warum stellt der CDU-Politiker seine Fanpage einfach ab? Das macht nur Sinn, wenn er noch Schlimmeres erwartet und nie in die Politik zurückkehren will. Ansonsten wäre ein FB-Seite ideal, um sein angeschlagene Position zu verteidigen, sich reuig zu zeigen bzw. irgendwann wieder zurückzukehren. Aber schon der Fall von zu Guttenberg hat gezeigt, dass viele Politiker davor zurückscheuen, ihre Online-Aktivitäten für die Politik wirklich aktiv (selbst) zu nutzen. Dieser Rücktritt 2.0 macht nun wirklich keinen Sinn. Er hätte seine Aktivitäten vorerst ruhen lassen können, um den Sturm zu überstehen. Ganz ausscheiden kann oder soll von Boetticher ohnehin (noch) nicht bei der CDU in Schleswig-Holstein. Sie braucht ihn weiterhin um ihre Regierungsmacht bei knapper Mehrheit zu erhalten und vorzeitige Neuwahlen zu verhindern.
Anfang August hat der Nur-Noch-CDU-Abgeordnete Boetticher in der FTD-Serie „Was ist konservativ“, sich selbst als Konservativen vorgestellt und sich gegen die Angriffe seiner außerparteilichen Gegner auf interessante Weise verwahrt: „Schwarz, konservativ und restaurativ entstammen der politischen Mottenkiste und dienen heute allenfalls dem politischen Gegner als Instrumente der Diffamierung denn als politische Inhaltsbestimmung. (…) Wir können uns unserer persönlichen Verantwortung vor Gott – und den Menschen – nicht entziehen.“ Angesichts der moralinsauere interne Auseinandersetzung um seine Position erhält sein damaliger Text einen neuen Subtext.
Wie viel Öffentlichkeit verträgt die Politik in Social Media Zeiten? Leserreporter, Blogger, Twitterer und Medien sorgen für viel Transparenz, die sehr schnell Privates öffentlich macht. Dem kann sich heute niemand mehr entziehen. Dazu sind nicht einmal eigene Facebook-Aktivitäten notwendig. Wir dürfen gespannt sein, wen es als nächsten trifft…
>> Meedia: Karriere-Aus: Wenn Facebook zur Falle wird
>> Zeit: Der Lolita-Komplex
>> Landesblog: Man will es doch richtig machen
>> Frankfurter Rundschau: Der Fall Boetticher und die Tugendwächter
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