Auf das Lesen von gedruckten Tageszeitungen verzichtet der Fachjournalist und Weinexperte Mario Scheuermann inzwischen weitgehend und widmet sich lieber seinen Online-Aktivitäten als Blogger, Twitterer und vieles mehr. Als Wikipedianer nimmt er inzwischen auch Einfluss auf sein Erscheinungsbild in dem Online-Lexikon und erläutert im Interview, wie es dazu eigentlich gekommen ist und wie er sich sonst so um sein digitales Erscheinungsbild kümmert.
1. Wenn ich "Mario Scheuermann" via Google suche, erhalte ich rund 30.000 Ergebnisse, darunter sehr viele von Ihnen. Welche Bedeutung hat das Internet für Ihre Arbeit?
Das Internet ist ein Plattform, die es mir ermöglicht, weitgehend selbstbestimmt meine Meinung publizieren bzw. sehr zeitnah zu berichten. Dies ist in den Printmedien leider meist nur noch eingeschränkt möglich. Man muss sich den Vorstellungen der Redaktion, des Verlages, der Graphik, der Technik und auch der Anzeigenkunden etc. unterordnen. Das geht so weit, dass ich auch gut bezahlte Aufträge schon nach dem Briefing abgelehnt habe, mit der Begründung: wenn Sie vorher schon wissen, was das Ergebnis der Recherche und deren Reflexionen sein sollte, dann schreiben Sie den Artikel doch selbst. Im Endergebnis hat der Umweg übers Online Publishing dazu geführt, dass jetzt gelegentlich andere Redaktionen an mich herantreten und fragen, ob ich so etwas nicht auch für ein Printmedium schreiben könnte. Plötzlich ist es z.B. auch möglich längere Texte ungekürzt oder gar richtige Essays gedruckt zu bekommen.
2. Was tun Sie alles für Ihre Online Reputation?
Ich scanne beispielsweise täglich meinen Namen automatisch bei google news und nehme mir mindestens einmal im Monat die Zeit, nach mir selbst etwas gründlicher zu googeln. Relevante Meldungen, Artikel, Kommentare verlinke ich an den dafür geeigneten Stellen
3. Welche Erfahrungen haben Sie mit kritischen Kommentaren gemacht und wie sollte man damit in der Regel umgehen?
Da habe ich eine ganz einfache Regel: jeder Kommentar, der anonym abgegeben wird, egal ob kritisch oder zustimmend, wandert in der Regel in den Papierkorb. Das gleiche gilt für alle Kommentare mit oder ohne Namen, die deutlich unter die Gürtellinie gehen, sich harter Fäkalsprache bedienen, beleidigend sind, strafbewehrte z.B. rassistische Inhalte haben. Bei den anonymen Kommentaren mache ich gelegentlich Ausnahmen, wenn der Inhalt zur Diskussion signifikant beiträgt bzw. symptomatisch ist für bestimmte Tendenzen und Geisteshaltungen. Da gibt es zum Beispiel im drink tank einen Beitrag über das Alkoholverbot für Jugendliche vom 28. Februar 2005 mit derzeit 195 teilweise sehr wüsten Kommentaren. Selbst kommentiert bzw. korrigiert habe ich das nur geringfügig, sondern weitgehend so stehen lassen, als ein authentisches Zeitdokument.
Manchmal muss man sich mit kritischen Kommentaren auch hart auseinandersetzen. Das ist beispielsweise vor einigen Monaten im Planet Bordeaux passiert, als ich einen Artikel kritiserte, der bei Welt online erschienen war und dessen Autorin sich dann zur Wehr setzte Das führte zu einer Kommentardiskussion mit 63 Beiträgen. Da ging es dann schon darum konkrete Sachverhalte zu klären.
4. Welche Bedeutung hat Twitter für Sie inzwischen?
Das weiss ich selbst noch nicht so genau. Hängt zum einen davon ab, wie
Twitter sich entwickelt. Im Augenblick ist es noch eine Art
Wurmfortsatz der Bloggosphäre, allerdings mit eine bemerkenswert neuen
Tendenz. Bei Twitter funktioniert etwas, was sonst im Internet fast
nirgends funktioniert: Ironie. Ich benutze es als Nachrichten- und eine
inspirierende Ideenquelle oder als eine Art Stimmungs-Barometer in
Echtzeit. Dann hat es Notizbuch-Charakter. Tweetscan kann durchaus
interessante Abfrageergebnisse bringen. Über Followers freue ich mich,
aber sie stehen nicht im Mittelpunkt meiner Bemühungen. Um grosse
Follower-Zahlen zu erreichen muss man im Twitter-Mainstream
mitschwimmen. Das ist nicht aber nicht meine Absicht.
5. Was ist für Sie eigentlich noch eine Privatsphäre?
Die ist bei einem Autor von dem Augenblick an, da er durch seine Arbeit
zu einer öffentlichen Person wird, natürlich stark reduziert. Sie
spielt sich eigentlich nur in den eigenen vier Wänden ab, in der
Familie, im allerengsten Freundeskreis oder auf privaten Reisen. Aber
selbst die habe ich letztens getwittert.
6. Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren Online-Aktivitäten insgesamt gemacht?
Mal ganz davon abgesehen, dass diese einfach Spass machen,
haben sie sich in den vergangenen fünf Jahren zu einem wesentlichen
Standbein meiner Arbeit entwickelt auch finanziell. Sie haben ganz
simpel meinen Bekanntheitsgrad gesteigert und das weltweit. Ich habe
durch die Aktivitäten interessante Aufträge und Aufgaben erhalten, neue
Menschen kennengelernt, vieles erfahren, was ansonsten an mir
vorbeigegangen wäre, obwohl mich gleichzeitig das Lesen von gedruckten
Tageszeitungen fast komplett eingestellt habe. Ich lese nur noch die
NZZ. Das ist für mich ein Ritual. Deshalb habe ich auch das Abo
abbestellt und kaufe sie mir ganz altmodisch am Kiosk.
7. Wie wirkt sich das wirtschaftlich konkret aus?
Zum einen tragen die Webseiten und Weblogs monatlich einen
unterschiedlich hohen, aber kontinuierlich leicht wachsenden
vierstelligen Betrag zu meinem Einnahmen bei. Zum anderen war
beispielsweise meine Aktion einer Weinbuch-Rallye via Weblogs für mein
letztes Buch zur Überraschung des Verlages ziemlich erfolgreich. Das
war wirklich ein gelungenes Beispiel für virales Marketing.
8. Was ist speziell von der Personensuchmachine Spock zu halten, mit der Sie ja auch arbeiten?
Man könnte damit so viel machen, wenn sich hierzulande ähnlich
viele User fänden wie in den Staaten. Ich betreibe es eher spielerisch
und bin damit immerhin binnen weniger Monate zu einem Spock-500
Power-User geworden. Ich nähere mich da gerade den Top 200. Da sind aus
Deutschland kaum mehr als fünf, sechs Leute dabei.
Was mir daran gefällt ist z.B. die Idee, dass ich meine
Favoriten aus Kultur und Wissenschaft verlinken kann, meine
Lieblingskomponisten. Das sagt sehr viel über einen Menschen aus. Ich
habe dort auch favorisierte Weinmacher verlinkt. Da gäbe es
beispielsweise eine interessante Möglichkeit für Winzer. Diese könnten
ihre Lieblingskunden aus der Gastronomie verlinken und umgekehrt,
meinetwegen auch ihre Lieblingskritiker J. Man stelle sich vor der
Winzer xy kann zehn hochdekorierte Restaurants auf der Welt mit sich
verlinken, die seine Weine führen. Gäste können einen Koch
favorisieren.
Mit einem befreundeten Koch und Gastronom, der in Hamburg das
Ristorante San Michele betreibt, probiere gerade aus, wie man Spock
oder ähnliche Tools für Restaurant Marketing nutzen kann.
9. Wie ist Ihr Eintrag auf der Wikipedia
zustande gekommen? Wie nutzen Sie Ihr Wikipedia-Profil im Selfmarketing?
Den Wikipedia-Eintrag hat ein anonymer Wikipedianer begonnen, den ich
nicht kenne. Ich habe dann zu einem späteren Zeitpunkt etwas ordnend
eingegriffen und ergänzt bzw. sachliche Fehler berichtigt. Inzwischen
bin ich dort selbst zum Mitautor geworden und habe viele eigene Artikel
zu Sachthemen geschrieben, aber auch über Personen darunter auch einige
Kollegen. Auch ein kleines Projekt zu Personen mit dem gleichen
Nachnamen, mit denen ich aber bis auf eine Ausnahme nicht verwandt bin,
habe ich dort lanciert.
Das Wikipedia-Profil ist eine meiner wichtigsten Visitenkarten neben
dem kurzen Eintrag in der Datenbank des Perlentauchers. Der ist
allerdings von besonderer Bedeutung; denn dort gelangt man nur hinein,
wenn man ein Buch geschrieben hat, das mindestens in einem der fünf
führenden deutschsprachigen Feuilletons besprochen wurde. Nützlich ist
auch das Profil bei zunftwissen.org. Das habe ich weitgehend selbst
erstellt so wie auch den Lebenslauf im Impressum meines Weblogs Drink
tank.
10. Welche weiteren Reputation-Management-Tools können Sie empfehlen? Und warum jeweils?
Ich habe verschiedene Tools ausprobiert und bin dann bei Spock hängen
geblieben. Dort habe ich deutlich mehr Reaktionen als bei yasni.
Von dem Social Network Xing halte ich nicht sehr viel. Da sind zwar viele Mitglied, die
den mich berührenden Branchen zugehören, vor allem erstaunlich viele
junge Winzer, aber das schmort mir zu sehr im eigenen Saft. Xing wird
von den meisten benutzt wie ein besseres, weil internes und
abgesichertes Outlook. Da werden mir dann die Einladungen, die ich per
Post erhalte nochmals elektronisch zugestellt. Die Gruppen und Foren,
die dort zu mich interessierenden Themen angelegt wurden dümpeln müde
vor sich hin. Das sind Leute, die auf neue und bessere Jobs spekulieren
oder die ihre Campus-Kumpanei aus der Hochschulzeit weiterpflegen. Das
ganze ist mir auch optisch zu bürokratisch. Da werden Persönlichkeiten,
Charaktere auf verwaltete Formulare auf Karteikarten oder
Personalfragebogen reduziert. Das ist alles andere als web 2.0 like.
Eigentlich ziemlich langweilig. Da fehlt die Emotion. Über friendfeed
kann ich noch nichts sagen, da ich gerade erst angefangen habe, das mit
zwei kleinen rooms auzuprobieren. Sieht aber viel versprechend aus.
Eine andere gute Möglichkeit für Journalisten oder andere User,
die viel in der Welt rumkommen, sich online in eine gute Position zu
bringen sind auch die Guides von Qype.
Ich habe dort begonnen mal mein Erfahrungen und speziellen
Kenntnisse zu Ungarn, Wien und Südafrika niederzuschreiben und
zusammenzuführen. Di ersten Reaktionen sind sehr positiv, obwohl da
noch gar nicht viel drin steht.
An den richtigen Stellen verlinkt zeigt das zum einen etwas über die
eigene Personen, Vorlieben etc., es ist hilfreicher Content und
potenzielle Auftraggeber können sich ein Bild machen, wie man an solche
Reise-Themen herangeht.
Das geht natürlich auch über den eigenen Blog. So publiziere ich im
Drink Tank regelmässig ganze Reisetagebücher wie über Südafrika,r
Südtirol oder Krems. Auch die online-Kolumnen Ungarischer Almanach oder
Wiener Küche gehören in diesen Bereich der textlichen Eigenwerbung. Das
ist wie ein Schaufenster meiner publizistischen Möglichkeiten. Das ist
nicht l´art pour l´art, sondern bringt durchaus Aufträge.
11. Worauf sollte man Ihrer Ansicht nach beim Online Reputation Management besonders achten?
Zum einen eine schnelle Auffindbarkeit korrekt ausgefüllter und
informativer Profile, die auch persönlich und emotional etwas über die
eigene Person aussagen, also mehr sind als nur ein tabellarischer
Lebenslauf.
Dann sollte eigentlich jeder, der auf irgend eine Weise
medial arbeitet, ein Weblog schreiben, in dem er seine persönliche
Meinung zum Ausdruck bringt zu den Themen, die ihn beschäftigen.
Wichtig ist dann der Aufbau einer persönlich geprägten
Community bzw. eines möglich transparenten Netzwerkes. Da denke ich,
dass Twitter eine sehr nützliche, aber auch amüsante Variante ist.
Jedenfalls hat sich dadurch mein Kontakt zu einigen Kollegen und
Freunden in den vergangenen Wochen sehr intensiviert. Die kurze Form
ermöglicht es auch ohne allzu grosse Mühe mehrsprachig zu
kommunizieren. So twittere ich mit meinem alten Kumpel Gero von Randow,
der jetzt als Korrrespondent der Zeit nach Paris geht, meist auf
französisch. Ich kann meine Kenntnisse auffrischen und er kann das
alltägliche parlieren schon mal üben.
Ich finde das Netz bietet heute viele wenig oder gar nicht
genutzte Möglichkeiten in diese Richtung. Die Funktion „Meine
Bibliothek" bei Google zum Beispiel. Davon habe ich immer geträumt.
Funktioniert zwar noch nicht optimal, aber die ersten 300 Bücher meines
rund 10.000 Druckwerke umfassenden Bestandes habe ich schon mal
eingegeben und wer will kann sie sich ansehen und darin stöbern.
Wenn es denn endlich mal mit google knol losgehen würde, wäre
das ein wunderbares Tool, das ich sicher und gerne nützen würde. Dort
zum Beispiel Vorträge aufzuarbeiten und mit den nötigen Links zu
Quellen auszustatten, oder Essays zu publizieren, könnte schnell einen
hohen Stellenwert bekommen.
>> PR Blogger: 22. Nachgebloggt: Warum der Weinexperte Mario Scheuermann auf Blogs setzt
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Klaus Eck