Aart De Geus Aart De Geus, Jahrgang 1955, studierte Jura an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Nach seinem Master of Laws schloss er ein postgraduales Studium in Arbeitsrecht an der Universität von Nimwegen an. Seit 1980 arbeitete De Geus für den Christelijk Nationaal Vakverbond (CNV), einen Gewerkschaftsbund in den Niederlanden. 1998 wurde er Partner bei der Unternehmensberatung Boer & Croon, Amsterdam. Von 2002 bis 2007 war De Geus Teil der niederländischen Regierung und bekleidete in den Kabinetten Balkenende das Amt des Ministers für Arbeit und Soziales. Seit 2007 war De Geus als stellvertretender Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zuständig für die Themen Arbeit und Soziales, Gesundheit, Bildung, Marktwirtschaft und Political Governance. Seit September 2011 ist Aart De Geus Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, seit August 2012 in der Funktion des Vorstandsvorsitzenden. Er verantwortet die Bereiche Europa, Demokratie, nachhaltige Wirtschaft, Arbeit und Megatrends.

Digital Leadership: Welche Werte brauchen Digital Leader?

3 Minuten Lesedauer

Die digitale Transformation verändert unsere Unternehmenswelt fundamental. Allerdings sollten wir uns nicht von den neuen technischen Möglichkeiten blenden lassen, die alternativlos zu sein scheinen. Es geht bei der digitalen Transformation nicht nur um die Machbarkeit, sondern vor allem um kulturelle Veränderungen.

Die Frage, welche Werte uns wichtig sind und wie wir diese Werte in den Unternehmen der Zukunft Wirklichkeit werden lassen, ist deswegen enorm wichtig. Sie berührt unmittelbar die persönliche Identifikation mit der eigenen Arbeit sowie den Zielen der Organisation. Sie fragt nach den Motivationsfaktoren für kreative und gute Arbeit. Und sie zwingt sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende zur Selbstreflexion: Für welche Werte stehe ich, und wie verhalten sich diese Werte zur Organisationskultur? Die Wertefrage betrifft damit zugleich beide Ebenen eines Unternehmens: einerseits die organisationale, andererseits die individuelle.

Wir brauchen einen inneren Kompass

Dabei ist die Frage nach unseren Werten keineswegs trivial, schon gar nicht in der heutigen Zeit. Wir alle stehen vor der Herausforderung, einen klaren inneren Kompass zu behalten, obwohl sich die Welt um uns herum immer schneller dreht. Die Digitalisierung stellt heute so vieles infrage, was früher selbstverständlich war. Das gilt für die Gesellschaft insgesamt. Und es gilt besonders für die Zukunft unserer Unternehmen und unserer Arbeit.

Trotzdem: Werte wie Verlässlichkeit, soziale Verantwortung und persönliche Entfaltung bleiben wichtig, selbst wenn sich die Arbeitswelt radikal wandelt. Daran ändert sich auch nichts, wenn ganze Berufsbilder durch Algorithmen und Roboter ersetzt werden. Solche Werte behalten für Unternehmen noch denselben Stellenwert, den sie früher einmal hatten. Sie sollten mehr sein als eine wohlklingende Sonntagsrede eines CEOs.

Selbst disruptive Umbrüche müssen unsere grundsätzlichen Werte nicht infrage stellen. Hierfür gibt es Beispiele aus der unternehmerischen Praxis. Als ich nach Ostwestfalen bzw. nach Gütersloh kam, habe ich über die Familie Mohn hinaus Unternehmerfamilien kennengelernt, denen Werte ungemein wichtig sind – gerade auch aus dem Mittelstand.

Natürlich braucht jedes Unternehmen Umsatz, Gewinne und Renditen – aber wie man diese erwirtschaftet, da verfolgte Reinhard Mohn wie auch viele seiner Unternehmerkollegen seinen eigenen Weg. Geprägt durch seine Erfahrungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit entwickelte er die partnerschaftliche Unternehmenskultur basierend auf der Delegation von Verantwortung in dezentralen Strukturen, der Mitsprache am Arbeitsplatz, der Beteiligung am Erfolg und dem sachbezogenen Dialog zwischen den Interessenvertretungen.

Wenn harte unternehmerische Entscheidungen getroffen werden mussten, sorgten Unternehmer wie Reinhard Mohn dafür, dass die Umsetzung im Geiste einer gemeinschaftlichen Suche nach der Lösung stattfand. Stets geprägt von gegenseitigem Respekt. Im Mittelpunkt stand und steht die Frage: Was braucht der Mensch, um sich selbst in Zeiten großer Veränderungen mit den Zielen des Unternehmens und dem eigenen Aufgabenbereich zu identifizieren und um mit Motivation und den geeigneten Fähigkeiten jeden Tag zur Arbeit zu gehen.

Für Unternehmer sollte es nie zur Debatte stehen, Werte so zu verwässern, dass sie auch in einer digitalisierten Welt leicht zu erreichen sind. Vielmehr geht es darum, Werte wie persönliche Entfaltung und Mitbestimmung auch in Zeiten des Wandels aufrechtzuerhalten. Nicht die Werte selbst dürfen infrage gestellt werden, sondern – wenn nötig – die eigenen Arbeitsweisen. Immer wieder wurden bei Bertelsmann Prozesse so gestaltet, dass die eigenen Werte, Maxime der Unternehmenskultur sein konnten. Hierbei war es Reinhard Mohn immer besonders wichtig, „Köpfe ans Denken zu bringen“.

Mehr Partizipation durch die digitale Transformation

In den Veränderungen stecken nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Die Digitalisierung muss keine Bedrohung für unsere traditionellen Werte sein. Sie ist vielmehr eine Chance, bestimmte Werte, die uns schon immer wichtig waren, in den Unternehmen der Zukunft fest zu verankern. Denken wir nur an all die Möglichkeiten, welche uns mit der Digitalisierung in Sachen Mitbestimmung, Transparenz und individueller Freiraum offen stehen. In der internen wie externen Kommunikation haben sich mannigfaltige Möglichkeiten eröffnet, den Austausch untereinander zu verbessern.

Eine aktuelle Studie der Fraunhofer-Gesellschaft und der Bertelsmann Stiftung belegt etwa, dass sich moderne und digitale Arbeitsmöglichkeiten positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit, Motivation und Arbeitgeberattraktivität auswirken. Eine digitale Arbeitswelt und ein gutes menschliches Betriebsklima sind kein Widerspruch. Am Ende ist entscheidend, wie man mit dem Wandel umgeht! Wie man Menschen auf die Veränderungen vorbereitet. Wie man eine menschenwürdige und zugleich leistungsorientierte Organisationskultur gestaltet. Welche Rahmenbedingungen man schafft, damit Mitarbeitende motiviert und kreativ, gesund und leistungsfähig bleiben.

Mit neuen agilen, partizipativen Arbeitsformen geht natürlich auch ein höheres Maß an Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Mitarbeiter einher. Auf die Führungskräfte kommt dabei eine besondere Herausforderung zu. Sie müssen sich auf die Arbeitswelt von morgen einlassen und gleichzeitig für ein Arbeitsklima sorgen, das Inspiration, Wohlbefinden und Sinnstiftung vermittelt.

Dies kann nur gelingen, wenn Werte nicht Verhandlungsmasse sind, sondern fester Orientierungspunkt jeglicher betrieblicher (und digitaler) Transformation. Und es kann nur gelingen, wenn man Führungskräfte mit einem festen inneren Kompass hat. Nicht alle Führungsfragen kann man vorausplanen. Mitunter gilt es auch, das Gebot der Stunde zu verstehen und zu nutzen. Das geht nur, wenn der innere Kompass intakt ist.

Digital Leadership sieht anders aus

Das ist zugegeben nicht immer leicht. Gerade für Führungskräfte bedeuten wertebasierte Transformationsprozesse nicht nur eine enorme Verantwortung, sondern auch Aufwand und Umstellung. Entgegen langläufiger Meinungen heißt digitale Arbeitswelt nicht gleich weniger Führung, sondern andere Führung.

Gerade wenn innerhalb der digitalen Transformation Werte weiterhin Wirklichkeit sein sollen, werden soziale und persönliche Kompetenz bei Führungskräften im Vergleich zu Fach- und Methodenkompetenz noch wichtiger. Dialog löst an vielen Stellen beim Digital Leadership die Hierarchie ab. Das kann für alle von Vorteil sein, ist für viele Führungskräfte aber auch eine immense Umstellung.

Die Herausforderungen für die Unternehmensführung der Zukunft sind also immens. Werte in den Unternehmen der Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen, ist kein leichtes Unterfangen. Aus diesem Grund brauchen wir Impulsgeber für Theorie und Praxis der Unternehmensführung. Denn eine moderne, agile Arbeitswelt stellt alte Lehren infrage, stellt neue Herausforderungen an Verantwortung, an Führung und an Mitarbeitende, gerade weil es auf einen kooperativen Führungsansatz setzt. Dazu braucht es meines Erachtens eine neue Debatte um die Akzeptanz und die Legitimität von Führung in der Arbeitswelt der Zukunft.

Dieser Fragestellung widmen wir uns unter anderem am 4. Mai 2018 beim CampQ -Leadership Konferenz für Querdenker – in Berlin, zu dem ich Sie herzlich einladen möchte. Mit unserem Querdenker-Camp will die Bertelsmann Stiftung erstmals digitale Vordenker und Transformationsgestalter mit denen zusammenbringen, denen das Querdenken in der eigenen Organisation schwer gemacht wird.

 

 

 

Bildquellen: Unsplash.com, Rawpixel.com, Aaron Burden, Kristopher Roller

Aart De Geus Aart De Geus, Jahrgang 1955, studierte Jura an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Nach seinem Master of Laws schloss er ein postgraduales Studium in Arbeitsrecht an der Universität von Nimwegen an. Seit 1980 arbeitete De Geus für den Christelijk Nationaal Vakverbond (CNV), einen Gewerkschaftsbund in den Niederlanden. 1998 wurde er Partner bei der Unternehmensberatung Boer & Croon, Amsterdam. Von 2002 bis 2007 war De Geus Teil der niederländischen Regierung und bekleidete in den Kabinetten Balkenende das Amt des Ministers für Arbeit und Soziales. Seit 2007 war De Geus als stellvertretender Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zuständig für die Themen Arbeit und Soziales, Gesundheit, Bildung, Marktwirtschaft und Political Governance. Seit September 2011 ist Aart De Geus Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, seit August 2012 in der Funktion des Vorstandsvorsitzenden. Er verantwortet die Bereiche Europa, Demokratie, nachhaltige Wirtschaft, Arbeit und Megatrends.

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