Der Online-Dialog – Versuch einer Definition

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Wenn man Blogs und Publikationen liest, die sich mit Social Media in Unternehmen beschäftigen, fällt einem auf, dass ein Begriff inflationär genutzt wird: der „Online-Dialog“.

Deshalb habe ich mich mal auf die Suche gemacht nach Antworten auf die Frage: Was ist das, ein „Online-Dialog“? Gibt es im Internet andere, online-spezifische Gesetze, die aufgrund der unterschiedlichen Dialogoptionen (E-Mail, Twitter, Kommentare in Blogs und Facebook, Instant Messaging etc.) entstanden sind?

Um es vorwegzunehmen: Erfolgreicher Online-Dialog ist besonders geradlinig, menschlich und eindeutig. Er ist das Gegenteil schwammiger Pressemitteilungen voller CEO-Slang (dies sind Relikte aus der Ära der „Push-Monologkultur“). Erfolgreiche Social-Web-Kommunikatoren und Corporate-Blogger schaffen Ankerpunkte für das Vertrauen der Stakeholder, weil sie auf der gleichen Ebene wie sie kommunizieren, und nicht „von oben herab“. Sie setzen auf Involvement, schaffen Vertrauen und Respekt – und geben Hoffnung.

Aber fangen wir mal von vorne an: Der Dialog, was ist das? Der Philosoph und Erkenntnistheoretiker Hans-Georg Gadamer beschreibt ihn so: „[It] is a process of two people understanding each other. Thus it is a characteristic of every true conversation that each opens himself to the other person, truly accepts his point of view as worthy of consideration and gets inside the other to such an extent that he understands not a particular individual, but what he says.“ (Gadamer 1979: 347)

Der Dialog ist also eine Kommunikationsform zwischen zwei oder mehreren Individuen, die den Standpunkt des/der anderen für gerechtfertigt halten. Diese Definition zeigt die soziale Dimension: Die Teilnehmer müssen aufeinander eingehen, um überhaupt einen Dialog führen zu können. Häufig wird genau dieses nicht berücksichtigt. Sei es bei Kritik zu Blogbeiträgen oder bei der Beurteilung einer Kampagne: Häufig erfährt das Gegenüber nicht genügend Akzeptanz.

Was macht den Online-Dialog in seinen Grundzügen aus? Philosoph und Bildungswissenschaftler Nicholas Burbule hat mehrere Merkmale “dialogischer Kommunikation” geprägt, die im Kontext von Social Media und Dynamiken wie Microblogging neue Bedeutung erhalten. Ich habe vier davon herausgesucht, um das Wesen des Online-Dialogs näher zu beschreiben:

Involvement. Involvement bedeutet Interesse an der Thematik und dem Standpunkt des anderen. Dies erfordert, dass man an der Meinung des Gegenübers interessiert ist und diese respektiert. Der Dialog ist ein Abgleich von Erfahrungswelten.

Beispiel: Viele Twitter-User teilen eine Faszination – die des Microbloggings. Diese verbindet sie in einer grundsätzlichen Ebene miteinander, sie prägt Umgangsformen und Regeln in einem Netzwerk. Twittern bedeutet, dass man Interesse daran hat bestimmten Personen oder Unternehmen zuzuhören und gleichzeitig gehört werden will. Wenn aber jemand die typischen Twitter-Kommunikationsstrukturen unterwandert und lediglich das Potential Twitters ausnutzen will – zum Beispiel ein Politiker-Account, der nur aus einem RSS-Feed besteht -, dann sollte er sich nicht wundern, wenn die Twittersphäre "Social Media Fail" schreit. Denn: Das Involvement, die Auseinandersetzung fehlt.

Vertrauen. Grundsätzlich glauben wir erstmal an die Richtigkeit der Aussagen des anderen, das gilt auch für den Online-Dialog. Ständiges Misstrauen würde eine Kommunikation fast unmöglich machen, weil dann jede Äußerung überprüft werden müsste. Natürlich steckt hier Risikopotential – aber wer aber mit falschen Aussagen versucht, seinen Standpunkt zu festigen, ist an einem Dialog sowieso nicht interessiert und läuft Gefahr, entdeckt und an den virtuellen Pranger gestellt zu werden. Hier haben sich im Internet Mechanismen entwickelt, die gerade dazu zwingen, von Anfang durch Ehrlichkeit Vertrauen aufbauen zu müssen. Der Online-Dialog eignet sich aber auch, um (eventuell offline) verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen – etwa in Krisen oder bei Trendthemen, die dem Ansehen des Unternehmens schaden.

Ein (älteres) Beispiel: Domino´s Pizza war mutig und hat den Geschäftsführer Stellung zu den Ekelvideos nehmen lassen. Aber nicht nur per Presseaussendung, sondern am Ort des Geschehens, auf Youtube. Dies ist ein erster Schritt, um auf die Öffentlichkeit zuzugehen und ein effektiver Versuch Vertrauen zurück zu gewinnen – durch den versuchten Dialog innerhalb der Strukturen, in denen die Kritik entstand.

Respekt. „While there may be large differences between partners in conversation, the process can go on if there is mutual regard. This involves the idea that everyone is equal in some basic way and entails a commitment to being fair-minded, opposing degradation and rejecting exploitation.“ (Mark K. Smith)

Gegenseitiger Respekt ermöglicht ein aufeinander Zugehen, ohne den eigenen Standpunkt verlassen zu müssen. Die Akzeptanz anderer Haltungen gehört genauso zu einem guten Umgang wie die grundsätzliche Anerkennung der Gleichheit der Gesprächspartner.

Beispiel: Ist Kritik – sei es per Blogpost, Kommentar oder Tweet – respektvoll formuliert und auf die Anbahnung eines Dialogs aus, handelt es sich um ein wertvolles Gut und sollte auch so behandelt werden. Unternehmen geben teilweise horrende Summen für Marktforschung aus, nicht ahnend, dass die Dinge nach denen sie suchen, oftmals schon längst öffentlich geäußert wurden. Geben wir bei der Twittersuche „Microsoft“ und „wish“ ein, eröffnet sich ein Pool wertvoller Kundenfeedbacks, die den Startpunkt eines Dialogs darstellen könnten:

Hoffnung. Wir engagieren uns in Konversationen aus einem Grund: Wir hoffen auf Möglichkeiten. Möglichkeiten zur Veränderung – das heißt die Entfaltung des Potentials, das in unseren kommunikativen Handlungen steckt.

Beispiel: Corporate Blogging ist meiner Meinung nach, richtig durchgeführt, Generieren von Hoffnung. Hoffnung für Mitarbeiter, hierarchische Grenzen überwinden zu können. Hoffnung für Stakeholder in einen konstruktiven Dialog mit dem Unternehmen zu gelangen. Und zu guter Letzt: Hoffnung für das Unternehmen durch Einsichten ein Stück mehr zu geben – und im Gegenzug wertvolle Kritik zu erhalten.

Wie erkennt man also guten Online-Dialog? Wenn er zu einer symbiotischen Beziehung mit allen Stakeholdern führt – und nicht nur mit denen, die der Kommunikationsabteilung gerade lieb und teuer sind. Der Philosoph Martin Buber sagte: Lehrkräfte seien viel besser, wenn sie nicht die ganze Zeit krampfhaft versuchen würden zu lehren. Wenn sie stattdessen spontan aus ihrem eigenen Leben heraus agieren und Wissen vermitteln würden – dann gewinnen sie Aufmerksamkeit. Exakt das Gleiche gilt für Unternehmen. Die Grundlagen dazu sind Involvement, Vertrauen, Respekt und Hoffnung.

Dies war mein vorerst letzter Blogeintrag im PR Blogger. Er stellt die Essenz dessen dar, was ich in den letzten 6 Monaten im Rahmen meines Praktikums beim PR Blogger und bei Talisman gelernt habe. Besonderer Dank geht an Klaus Eck, Heike Bedrich, Doris Eichmeier sowie Kira Song, deren Unterstützung unschätzbaren Wert für mich hat. Durch sie und die vielen Menschen, die ich während meines Aufenthalts in München kennengelernt habe, konnte ich wertvolle Erfahrungen sammeln, die den Grundstein für meinen weiteren Werdegang bilden. Danke.


Christoph Bauer


>> Infed.org: Dialog and Conversation

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>> Bildnachweis: Foto "2 boys" von tanakawho

6 Replies to “Der Online-Dialog – Versuch einer Definition”

  1. Fehlendes Involvement lässt sich ja nicht nur bei kommerziellen Twitterern beobachten, sondern auch bei – ich nenne Sie mal „Ego-Twitterern“, die versuchen, ihren Following-Account bei 150 zu halten. Ich empfehle, grundsätzlich alle (ernstgemeinten) Follows zu erwidern und über Tweetdeck eine Gruppe mit den interessantesten Followern anzulegen.
    Hagen Kohn

  2. Bei diesem Versuch wird es nicht bleiben. Meine Diplomarbeit wird sich voll und ganz dem Thema „Social Media und Dialog“ widmen. In diesem Artikel konnte ich natürlich nur die groben Grundlagen des Dialogs umreissen.
    Bisher habe ich aber noch keine wissenschaftlichere Definition (bzw. überhaupt keine Definition) des ganzen Konstrukts im deutschsprachigen Web gefunden, deshalb hier zumindest ein Vorstoß.
    Danke für die Kritik!
    Christoph Bauer

  3. Schoener Beitrag, obwohl ich ueber den Einstieg etwas gestolpert bin: Social-Web-Kommunikatoren, Corporate Blog, Ankerpunkt, Stakeholder, Involvement, Vertrauen, Respekt – 7 Buzzwords bzw. erklaerungsbeduerftige Begriffe in 4 Zeilen; alle Achtung.
    Aber die Erklaerung folgt ja konsistent und
    Wobei mein Punkt der ist, ob nicht gerade Onlinep-Kommunikation vom grundlegenden Element des Dialogs, naemlich der Anerkennung des Standpunkts des anderen abweicht.
    Online sehe ich nur einen Bruchteil des anderen, eine Seite von einem ganzen Onlinemedium, und auch Online-Medien haben noch nicht so gut eingefuehrte Kontexterzeuger wie Printmedien (Hardcover/Paperback, gross/kleinformatige Zeitungen – da schwingt ueberall etwas mit, was online noch nicht so kanonisiert und ausgepraegt ist).
    Ich werde ueber verschiedene Verbindungen hingefuehrt, die der andere nicht kontrolliert: RTs von irgendwo, RSS-Reader, Links – da ist keine Empfangsdame, kein Konferenzmoderator, die fuer das gewuenschte Setting sorgen.
    Online lesen wir schnell – die Gefahr, dass wir eher auf Reizworte als auf Argumentationen reagieren, steigt damit deutlich.
    Und schliesslich meine Erfahrung: Je intensiver sich eine Diskussion online entwickelt hat, desto mehr Facetten und Wendungen hat mein Bild vom Standpunkt des anderen genommen.
    Fazit: m.E. wissen wir Online zu wenig, um diese Qualitaetskriterien des Dialogs anwenden zu koennen

  4. Danke für das konstruktive Feedback.
    Um auf das von Ihnen angesprochene Problem eingehen zu können, müsste ich noch tiefer in die Wissenschaftlichkeit steigen:
    Es gibt einen Wissenschaftszweig namens „Hermeneutik“, der sich genau mit dieser Problematik befasst. Texte, die im wissenschaftlichen Sinne ja auch gesprochene Kommunikation inkludieren, entstehen immer in einem spezifischen Setting. Die Hermeneutik versucht dieses Setting zu eruieren und damit den „wahren“ Kern eines Textes herauszufinden. Man bezieht somit alle äusseren Faktoren in die Deutung eines Textes hinein, die man finden kann. Dass dies in der realen Welt mit einem unglaublichen Aufwand verbunden ist und durch das Web noch einmal erschwert wird, ist klar. Trotzdem gibt es sowas wie Common Sense, auf dem man in diesem Kontext bauen muss. D.h. die Frage nach dem, was der Kommunikation offensichtlich inhärent ist und von anderen auch so verstanden wird, wie der Autor es geplant hat.
    Aber ich drifte ab.
    Ein Text muss grundsätzlich für sich stehen und beim Schreiben/Sprechen muss man eben darauf achten, dass er auch in der Kontextlosigkeit einen Kern hat, der beim Leser/Zuhörer ankommt. Dieses grundlegende Verständnis wird dann halt durch die persönlichen Bindungen zum Text (hat ihn ein Freund geschrieben? wie stehe ich der Thematik gegenüber?) akkordiert. Und dieser Aspekt ist besonders im Web, wo Content „verschleppt“ wird, sehr wichtig.
    In diesem Rahmen ist es leider nicht möglich meine Gedankengänge dazu weiter auszuführen – was ich sagen will, ist: Mehr Aufmerksamkeit, weniger Flüchtigkeit beim Lesen. Dann klappts auch mit dem Dialog etwas besser (irgendwie hätte ich mir die Zeilen oben sparen können ;-)).

  5. Wenn auch hier das eine oder andere „bullshitbingo“ – CEO Vokabular zu finden ist – es gibt auf jeden Fall den Impuls, sein eigenes „Online Dialog“ -Verhalten und -Erleben unter neuen Aspekten zu reflektieren.

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